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Eine Justizschnittstelle für digitale Strafverfolgung

Ende Mai hat es das Neo Magazin Royale von Jan Böhmermann mit der #polizeikontrolle-Recherche erneut gezeigt: Die Polizei in Deutschland hängt bei der Bekämpfung von Hasskriminalität hinterher, das Problem wird nach wie vor oft nicht ernst genommen. Polizeiarbeit muss im...
Ein Sharepic. Links ein Drittel weiße Fläche mit dem Schriftzug D64 Zentrum für Digitalen Fortschritt. Rechts eine gezeichnete Abbildung eines Menschen vor einem Computer mit einer Wolke in der API steht. Dazu der Text: Baut APIs, nicht Apps! Damit Polizeiarbeit im 21. Jahrhundert funktioniert, braucht es standardisierte Schnittstellen. d-64.org

Ende Mai hat es das Neo Magazin Royale von Jan Böhmermann mit der #polizeikontrolle-Recherche erneut gezeigt: Die Polizei in Deutschland hängt bei der Bekämpfung von Hasskriminalität hinterher, das Problem wird nach wie vor oft nicht ernst genommen. Polizeiarbeit muss im 21. Jahrhundert ankommen. Anders als viele Innenminister:innen es verstehen, heißt das weder Massenüberwachung noch Klarnamenspflicht, sondern Kommunikation und Ermittlungsarbeit effizient zu gestalten, Digitalkompetenz auszubauen und vor allen Dingen Hürden für Betroffene und Anzeigeerstatter:innen abzubauen. Dafür bedarf es der – in unserem Konzept der Login-Falle integrierten – Justizschnittstelle.

Defizite einer Meldeplattform

Anlässlich der Recherche wurden erneut Rufe nach einer zentralen Plattform laut, über die Hasskommentare gemeldet werden können. Die Intention ist richtig: Hass melden muss so einfach wie möglich sein. Über Jahre hat das ehrenamtliche Portal Hassmelden hier Pionierarbeit geleistet, dabei aber stets betont, dass es sich um eine eigentlich originär staatliche Aufgabe handelt. Vor einigen Wochen hat es seine Arbeit – wohl auch aufgrund fehlender öffentlicher Unterstützung – vorerst eingestellt. Eine neue Plattform müsste an die hervorragende Vorarbeit von Hassmelden anknüpfen. So sollten beispielsweise öffentliche Inhalte unmittelbar und automatisiert gesichert werden, ohne dass es des umständlichen manuellen Hochladens von Screenshots – was in vielen Online-Wachen bis heute nicht möglich ist – bedarf.

Eine externe Plattform – sei sie staatlich oder privat betrieben – wird aber immer nur eine eingeschränkte Funktionalität anbieten können. So liegt es in der Natur der Sache, dass sie nur auf öffentliche Inhalte zugreifen und diese sichern könnte. Sobald Beleidigungen oder Volksverhetzung in geschlossenen Gruppen ausgetauscht werden, ist eine automatische Beweissicherung, die unserer Meinung nach essentiell für den Abbau von Barrieren für die Betroffenen ist, derzeit nicht möglich. Außerdem führt der Medienbruch von sozialer Plattform – auf der die Beleidigung wahrgenommen wird – zur Online-Wache dazu, dass man Nutzer:innen verlieren wird, die den Meldeprozess als zu aufwändig empfinden, die davon ausgehen, dass eine Meldung bei der Plattform auch die Strafverfolgungsbehörden erreicht oder schlicht keine Kenntnis von der zentralen Plattform haben.

Baut APIs, nicht Apps

Damit Polizeiarbeit im 21. Jahrhundert funktionieren kann, braucht es standardisierter Schnittstellen. Hierauf basiert auch unser Konzept der Login-Falle zur Identifikation von Tatverdächtigen im Internet ohne Massenüberwachung. Neben der Möglichkeit der verbesserten Identifikation könnten aber auch Anzeigemöglichkeiten aus den Apps heraus für Betroffene geschaffen werden. Schon jetzt bieten viele Messenger – auch solche von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation – Meldemechanismen an, mit denen ein spezifischer Inhalt ausgeleitet werden kann. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man nicht über die gleiche Funktion auch eine Anzeige bei staatlichen Behörden erstatten können sollte. Strafverfolgung ist und bleibt eine Kernaufgabe des Staates.

Damit das möglich ist, braucht es einen einheitlichen offenen Standard für die Kommunikation zwischen den jeweiligen Apps und den Strafverfolgungsbehörden. So können alle relevanten Beweise gesichert werden, ggf. erforderliche persönliche Daten der anzeigeerstattenden Person müssen nicht immer wieder aufs Neue angelegt werden und es wird keine Zeit durch unnötige Formalitäten verwendet. Dabei ist auch der Persönlichkeitsschutz von Betroffenen und Anzeigeerstatter:innen ernster zu nehmen. Es muss ausgeschlossen sein, dass die Adressdaten dieser Personen – auch nicht über Umwege – in die Hände der Tatverdächtigen gelangen können. Zur effektiven Strafverfolgung im Bereich der Hasskriminalität sind in diesem Zuge bestehende formale Hürden, wie das Schriftformerfordernis für Strafanträge bei Antragsdelikten wie Beleidigung, abzuschaffen.

Die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörde kann sich hierbei nach dem Bundesland der anzeigeerstattenden Person richten, die die jeweilige Äußerung wahrgenommen hat. So wird der Föderalismus, der als Bollwerk gegen Machtmissbrauch und zentrale Datensammlungen dient, weiterhin ernst genommen und es bietet sich die Möglichkeit, Verbesserungsversuche bei der Strafverfolgung im Bereich Internetkriminalität “laborartig” zunächst im Kleinen auszuprobieren, bevor gute, etablierte Konzepte dann von anderen Bundesländern übernommen werden. Nur in Ausnahmefällen, wenn die anzeigeerstattende Person beispielsweise vollständig anonym bleiben möchte – was jedenfalls möglich sein sollte -, sollten die Ermittlung zunächst von einer Zentralstelle geführt werden.

Die Definition eines einheitlichen Standards, nicht des engen Korsetts einer bestimmten Software, würde sowohl auf Seite der Messenger-Apps wie auch auf Seite der Strafverfolgungsbehörden Vielfalt im Bereich der eingesetzten Programme ermöglichen. Bereits etablierte Tools müssten nicht ausgetauscht, sondern lediglich um die Schnittstelle erweitert werden. Ein möglichst offener Standardisierungsprozess mit allen relevanten Stakeholdern würde zudem zu einer breiten Akzeptanz der Schnittstelle führen, die dann auch international die Bekämpfung von Internetkriminalität erleichtern würde.

Grundsätzlich wäre eine solche Schnittstelle nicht nur ein Mittel in der Bekämpfung von Hasskriminalität: Überall dort, wo Straftaten ausschließlich oder weitestgehend digital auf etablierten Plattformen erfolgen, beispielsweise bei Internetbetrug oder Grooming, würde eine solche integrierte Anzeigemöglichkeit die Hürden für die Betroffenen senken und Strafverfolgung effektiver gestalten.

Massenkriminalität erfordert flächendeckende Ausbildung

Hasskriminalität ist bedauerlicherweise ein Massenphänomen. Genau das macht sie zur Gefahr für die Demokratie und so dringend erforderlich, dass die Polizeibehörden in der Breite aufgestellt sind, um angemessen zu reagieren. Es sollten deshalb weniger zentrale Strukturen auf Bundesebene – wie beispielsweise beim Bundeskriminalamt – gefördert werden, sondern in den Ländern die Ausbildung der Polizist:innen flächendeckend in diesem Kriminalitätsbereich verbessert werden. Auch wenn die konkreten Ermittlungen gegebenenfalls auf Landesebene bei einzelnen Stellen konzentriert werden können, ist es trotzdem notwendig, dass bei jeder Polizeidienststelle im Deutschland entsprechende Anzeigen aufgegeben werden können und ernstgenommen werden. Das Internet war nie ein rechtsfreier Raum. Mängel, die in der Rechtsdurchsetzung bestehen, sind auch darauf zurückzuführen, dass die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden seit Jahrzehnten nicht ausreichend auf den digitalen Raum ausgerichtet ist. Während es in der europäischen Debatte häufig zu plakativen, oft rechtswidrigen Forderungen nach Massenüberwachung kam, wurde die Qualitätssicherung in der alltäglichen Bearbeitung von Fällen mit Digitalbezug offenkundig vernachlässigt.

Zur Bündelung von Ressourcen ist es außerdem insbesondere im Bereich Hasskriminalität sinnvoll, dass der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden der Länder verbessert wird. Wie die Böhmermann-Recherche zeigt, wissen die Ermittlungsbehörden des einen Landes oft nichts davon, wenn zu einem Post auch in einem anderen Bundesland ermittelt oder sogar angeklagt und verurteilt wird. Auch hier könnte eine Schnittstelle auf Ebene der Landesbehörden hilfreich sein, mit der automatisiert abgefragt werden kann, ob in anderen Ländern bereits Ermittlungen bzgl. eines bestimmten Inhalts erfolgen. Um das Verfahren weitgehend zu automatisieren, sollte hierbei möglichst weitgehend auf eindeutige Identifikatoren, wie die URL eines Posts oder des Profils eines Tatverdächtigen zurückgegriffen werden.

Zusammengefasst:

  • Verbesserte Ausbildung in der Breite statt neuer Sonderbefugnisse
  • Staatlich betriebene Meldeplattform als Alternative zu hassmelden ist eine gute Idee, aber dezentralisierte Auswertung notwendig (BKA nicht als Superpolizeibehörde; Hasskriminalität als Massenkriminalität)
  • APIs statt Apps: Perspektivisch sollte die Anzeigeerstattung unmittelbar aus den Plattformen heraus über offene Schnittstellen erfolgen können
  • Hierzu gehört auch die Login-Falle zur Identifikation von Tatverdächtigen: Weitere Informationen finden sich in der ausführlichen Präsentation zur Login-Falle.
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D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt

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