D64 zeigt sich entsetzt über die Einigung der Kultusministerkonferenz mit dem Verband Bildungsmedien sowie den Verwertungsgesellschaften über die digitale Bereitstellung von Lerninhalten. Eine Finanzierung offener Lehr- und Lernunterlagen wäre statt der jetzigen Einigung dem gesellschaftlichen Wandel gerecht.
Die Einigung der Kultusministerien mit dem Verband Bildungsmedien sowie den Verwertungsgesellschaften über die digitale Bereitstellung von Lerninhalten darf wohl als größter Lobbyingerfolg seit der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers gelten. Der §53 Abs. 3 fand erst 2008 nach heftigem Lobbying der Schulbuchverlage Eingang ins Urheberrechtsgesetz. Er untersagt die digitale Verwendung auch nur kleinster Teile, also zum Beispiel einer einzelnen Grafik oder Übung, eines Lehrbuchs. „Um eine völlig lebensfremde Gesetzeslage zu sanieren, zahlen die Länder jetzt Millionen an die Schulbuchverlage,“ kritisiert Valentina Kerst, Vorstand des Vereins D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt. Hauptprofiteure dieser Regelung seien die drei Großverlage Klett, Cornelsen und Westermann. Diese Verlage teilen 90 Prozent des deutschen Schulbuchmarktes unter sich auf.
In diesem Licht ist die Jubelmeldung der Kultusministerkonferenz besonders befremdlich. Wenn behauptet wird, die „Lehrkräfte haben eine sichere Rechtsgrundlage für ihr Handeln“, dann nur deshalb, weil ihnen diese Rechtsgrundlage 2008 entzogen wurde. Ähnlich absurd ist die Freude über das Ende der als „Schultrojaner“ bekannt gewordenen Schnüffelsoftware auf Schulservern („Die ehemals von den Verlagen vorgesehenen Kontrollen sind endgültig vom Tisch.“). Auch hier wurde etwas abgewendet, was überhaupt nie eine rechtlich zulässige Option war.
Zudem greifen die eingeräumten Rechte viel zu kurz. Lehrkräfte dürfen damit von ihnen erstellte Arbeitsblätter, die Teile von Lehrbüchern verwenden, weiterhin nicht im Internet anderen Lehrkräften zur Verfügung stellen. Statt der Ablasszahlung an Verlage fordert Kerst deshalb, das Geld in digitale Lehrmittelfreiheit zu investieren. „Deutschland ist im Bereich digitaler Lehrmitelfreiheit international Schlusslicht. Während in den USA, Kanada oder Polen Millionen in offen lizenzierte Lernunterlagen investiert werden, überweisen wir das Geld einfach an die Verlage.“ Der Vorteil von offenen Lehr- und Lernunterlagen (Open Educational Resources, OER) liege darin, dass damit eine Kombination und öffentliche Weitergabe unkompliziert möglich sei. Digitale Lehrmittelfreiheit erlaube mittelfristig mehr didaktische Vielfalt und kreativeren Unterricht.
„Mit diesem Vertrag bleibt Deutschland in Sachen digitaler Lernunterlagen im vorigen Jahrhundert stehen,“ meint Kerst und weist stattdessen auf das von Prof. Leonhard Dobusch von der FU Berlin verfasste D64-White-Paper zum Thema „Digitale Lehrmittelfreiheit“ hin, in dem die Potentiale von offenen Lernunterlagen skizziert werden. Das White Paper ist kostenlos unter http://lehrmittelfreiheit.d-64.org als Download verfügbar.
Damian Duchamps
8. Dezember 2012
Ich kann nur zustimmen. Mehr als eine Ablasszahlung ist die Vereinbarung in der Tat nicht. Mir drängt sich übrigens schon seit längerer Zeit der Verdacht auf, dass Deutschland höchstwahrscheinlich nur aufgrund der Lobbyarbeit der Bildungsverlage beim Thema OER absolutes Schlusslicht ist. Wie sonst lässt es sich erklären, dass die Bundesrepublik sich als einziges europäisches Land bei europäischen OER Initiativen ausklinkt und lediglich eine Beobachterposition einnimmt? Die deutsche Abstinenz beim Thema OER wird genauso der Lobby der Verlage geschuldet sein wie das seltsame Konstrukt Leistungsschutzrecht, welches auf die Lobbyarbeit der Presseverleger zurückgeht.
Weitere Gedanken zur Auswirkung der neuen habe ich unter Gräbt die neue Vereinbarung zum digitalen Vervielfältigen dem Thema OER das Wasser ab?