Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll sich verändern. Dafür haben die Bundesländer am 26. September 2024 den einen Diskussionsentwurf für einen „Staatsvertrag zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Reformstaatsvertrag)“ vorgelegt. Viele der geplanten Änderungen im Digitalbereich sind positiv: Mehr Interaktion mit den Nutzenden, die stärkere Verankerung von Open-Source-Standards für die Mediatheken oder die Möglichkeit zur Einbindung von Inhalten aus Wissenschaft, Kultur und Bildung. Doch der Entwurf bedroht erfolgreiche digitale Angebote, die insbesondere für jüngere Zielgruppen relevant sind (wie zum Beispiel ZDFneo). Außerdem könnten die Änderungen am Konzept der Presseähnlichkeit eine Beschränkung von Online-Texten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedeuten. Deswegen hat D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt diese Punkte in einer Stellungnahme an die Rundfunkkommission kritisiert.
Stellungnahme zum Entwurf über einen „Staatsvertrag zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Reformstaatsvertrag)“
10. Oktober 2024
Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlichen Dank für die Möglichkeit, Anregungen und Anmerkungen zum Entwurf über einen Staatsvertrag zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ReformStV), vorgelegt am 26. September 2024, einzubringen.
D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt setzt sich seit 2011 als gemeinnütziger und unabhängiger Verein dafür ein, die digitale Transformation nach den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mitzugestalten. Mit 800 Mitgliedern sind wir einer der mitgliederstärksten Digitalvereine der DACH-Region und vereinen Expertise aus verschiedenen Sektoren der Digitalpolitik. Als zivilgesellschaftliche Entsendeorganisation für Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender (u.a. ZDF-Fernsehrat und SR Rundfunkrat) begleiten wir die Reformdebatte zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk intensiv und konstruktiv-kritisch.
Wir begrüßen ausdrücklich einige der im vorgelegten ReformStV vorgesehenen Anpassungen, die den Digitalbereich betreffen. Dazu zählen die nun auch staatsvertraglich vorgeschriebene Entwicklung einer gemeinsamen Streaminginfrastruktur auf Basis offener Standards für die Mediatheken, die stärkere Ausrichtung auf Partizipation und zielgruppengerechte Interaktion mit Nutzer:innen, sowie die nun geschaffene Möglichkeit zur Einbindung von Inhalten von Wissenschafts-, Kultur- und Bildungseinrichtungen in öffentlich-rechtliche Portale.
Diese Maßnahmen geben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wichtige Instrumente an die Hand, das Publikum stärker einzubeziehen, Inhalte und technologische Entwicklungen verschiedenen Zielgruppen besser zugänglich zu machen und die bereits begonnene stärkere technologische Kooperation der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (z.B. hinsichtlich einer Verschränkung der Online-Angebote und insbesondere „StreamingOS“) fortzuschreiben. Auch die Regelungen zum Datenaustausch und die angestrebte Reflexion des Einsatzes von künstlicher Intelligenz sind aus unserer Perspektive sehr begrüßenswert.
Trotz dieser positiven Entwicklungen sehen wir im Entwurf des RefromStV auch Defizite, die es aus unserer Sicht erschweren werden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zeitgemäße und seinem Auftrag entsprechende Angebote macht. Gemäß unserer Expertise und aufgrund der von der Rundfunkkommission zeitlich eng gesetzten Möglichkeit zur Teilnahme am Konsultationsverfahren, fokussieren wir uns in unserer Stellungnahme auf die Themenfelder (1) Digitalkanäle und (2) die Frage der Presseähnlichkeit:
1. Reform der Digitalkanäle
Mit der Neuregelung der sogenannten „Spartenprogramme“ wird offenkundig der Versuch unternommen, durch deren teilweise Einstellung ein sichtbares und damit politisches Kürzungssymbol im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu setzen. Grundsätzlich sehen wir es kritisch, dass auch in Zeiten schneller technologischer Entwicklungen per Staatsvertrag über den genauen Umfang der Programmpalette entschieden werden soll, da sich Anforderungen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Bezug auf den Medienkonsum in einer digitalen Gesellschaft ständig verändern. Sinnvoller wäre es, ARD und ZDF mehr Flexibilität zu geben, ihrerseits Sender einzustellen oder Angebote ins Digitale zu überführen, damit sie ihre Programmstruktur gemäß ihrem Auftrag an die Bedürfnisse von Nutzer:innen anpassen und eine schlüssige Markenstrategie fahren können, in der Spartenkanäle (je nach Sendeanstalt) eine unterschiedlich gewichtige Rolle spielen.
Auf Basis des vorliegenden Entwurfs sehen wir die Gefahr, dass erfolgreiche digitale und lineare Angebote, die sich als gemeinsame Marke an eine eher junge Zielgruppe richten (wie zum Beispiel ZDFinfo oder auch ZDFneo) und von dieser bereits in hohem Maße angenommen werden (ZDFinfo zum Beispiel hat allein auf Instagram über 900.000 Follower) gestrichen werden. Dies würde unter anderem der ZDF-Strategie „ein ZDF für alle“ widersprechen, nach der Ressourcen zu denjenigen (meist jüngeren) Zielgruppen zu verlagern sind, die bisher als Nutzer:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterrepräsentiert sind und ohnehin eine stärkere Distanz zu ihm empfinden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf und muss an seinem Auftrag gemessen werden, aber muss auch unternehmerische Verantwortung für seine Zielgruppenstrategie tragen. Daher lehnen wir das in diesem Entwurf beschriebene Vorgehen zur Reduktion der Spartenkanäle ab und empfehlen stattdessen eine Flexibilisierung bei der Gestaltung von Programmen für besondere Zielgruppen. Dies ist verbunden mit dem Wunsch an die Sender, noch stärker auf digitale Angebote zu setzen und erfolgreiche Formate aus den Spartenprogrammen in den Hauptkanal zu integrieren.
2. Presseähnlichkeit und Sendungsbezug
An den öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden u.a. aufgrund seiner Beitragsfinanzierung zu recht hohe Erwartungen gerichtet. Doch wenn die öffentlich-rechtlichen Anbieter durch die Medienregulierung in ihrem praktischen Handeln so enge Grenzen gesetzt werden, dass sie den Realitäten heutiger Informationsökosysteme nicht gerecht werden können, dann stellt dies eine Behinderung der Erfüllung ihres Auftrags dar. Diese Zwickmühle, in die auch der vorliegende Entwurf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu manövrieren droht, zeigt sich vor allem am Konzept der Presseähnlichkeit:
Neben dem Konzept der Verweildauer (das regelt, wie lange öffentlich-rechtliche Inhalte in Mediatheken verfügbar sein dürfen) setzt vor allem das Konzept der Presseähnlichkeit dem Handeln öffentlich-rechtlicher Sender im Internet Grenzen. Es regelt, dass öffentlich-rechtliche Telemedienangebote laut 4. MÄStV nicht presseähnlich sein dürfen, also „im Schwerpunkt mittels Bewegtbild oder Ton zu gestalten [sind] wobei Text nicht im Vordergrund stehen darf“. Sie müssen außerdem einen zeitlichen und inhaltlichen Bezug zu einer bestimmten Sendung haben (Sendungsbezug).
Das Konzept der Presseähnlichkeit steht schon seit einigen Jahren in keinem Bezug mehr zur heutigen Medienrealität, in der Online-Angebote in der Regel crossmedial als ein Mix aus Text-, Video- und Audioinhalten konzipiert sind und so auch von den Menschen konsumiert werden. Gebührenzahler:innen dürften zu Recht erwarten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit der Zeit geht (bzw. gehen darf) und entsprechende Angebote bereitstellt.
Leider nimmt der vorliegende ReformStV vom Konzept der Presseähnlichkeit und dem Sendungsbezug keinen Abschied, sondern stärkt diese Prinzipien im Gegenteil sogar noch. In § 30 Abs 7 (Telemedienangebote) wird nicht nur erneut betont, dass Text nur ein primär „sendungsbegleitendes“ Element sein darf, der Begriff wird auf öffentlich-rechtliche Inhalte auf Drittplattformen erweitert und eine neue „Aktualitätsklausel“ eingeführt, nach der sich eine Veröffentlichung in Zukunft nur auf eigene Sendungen beziehen darf, die nicht älter als 2 Wochen sind.
Ganz allgemein passen diese Einschränkungen nicht zum umfassenden Transformationsprozess, den die öffentlich-rechtlichen Sender aktuell durchschreiten, in dem nicht mehr in Fernsehsendungen, sondern in Inhalten und Verbreitungskanälen gedacht wird. Vor allem aber lässt der Entwurf völlig offen, wie diese Einschränkungen geeignet sein sollen, die Qualität öffentlich-rechtlicher Angebote für Nutzer:innen zu erhöhen. Ganz im Gegenteil wird damit das angesichts digitaler Desinformationswellen mehr denn je notwendige öffentlich-rechtliche Angebot im Bereich journalistischer Informationsinhalte eingeschränkt. Mit anderen Worten: das aus der Zeit gefallene Konzept der Presseähnlichkeit führt nicht nur zu verminderter Qualität öffentlich-rechtlicher Angebote, es schwächt auch deren Beitrag zu demokratischer Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter. Gerade in Zeiten, in denen Desinformation eine stetig größere Herausforderung darstellen, sollten qualitativ hochwertige Inhalte und Informationen auch zuverlässig zur Verfügung stehen, um die Öffentlichkeit zu informieren und Fakten bereitzustellen.
Dabei hätten Gebührenzahler:innen zu Recht den Anspruch, dass durch ihre Beiträge finanzierte Inhalte möglichst breit und nach primär qualitäts- und vermittlungsorientierten Maßstäben gestaltete Art und Weise genutzt werden können. Dies könnte auch auf das Vertrauen in öffentlich-rechtliche Medien bzw. seinen öffentlichen Nutzen einzahlen, ein Gedanke, der den Detailregelungen des ReformStV leider fremd ist. Wir fordern deshalb die Streichung der Änderungen am Konzept des Sendungsbezugs und fordern die Rundfunkkommission auf, das Konzept der Presseähnlichkeit grundsätzlich zu überdenken.
3. Abschluss
Wir bedanken uns für die Möglichkeit zur Einbringung unserer Position zur Reform des Rundfunkstaatsvertrags und freuen uns auf den weiteren Austausch zu den von uns hier eingebrachten Positionen.
1 https://www.ard-media.de/media-perspektiven/publikationsarchiv/1999/artikel/oeffentlich-rechtliches-ferns ehen-fuer-jugendliche-nicht-jung-genug