„Preserving our individual freedoms ultimately requires collective action.“
Barack Obama, inaugural address, 2013
Einleitung: Freiheit und Soziale Demokratie

Gekürzte Fassung eines Beitrags von Leonhard Dobusch im Band „Werte und Politik“ (2015, Springer VS)
In seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ erklärt John Rawls individuelle Freiheit zum zentralen normativen Orientierungskriterium und zum relevanten Maßstab für die Gestaltung einer gerechten Gesellschaft. Diese Betonung individueller Freiheit verleitet dabei so manche KommentatorInnen dazu, Rawls als Exponat eines ökonomischen Liberalismus zu identifizieren, seiner Philosophie eine untergeordnete Betonung von Gerechtigkeitserwägungen zu attestieren und diese entsprechend zu kritisieren.[1]
Jedoch plädiert Rawls im selben Werk für ein überaus hohes Maß an materieller Gerechtigkeit – weit jenseits von bloßer formal-rechtlicher Gleichheit – um diese Freiheit des Einzelnen bestmöglich zu realisieren. Etwaige materielle Ungleichheiten lassen sich mit Rawls im Grunde nur auf eine Weise rechtfertigen: Privilegierte gesellschaftliche Positionen müssen dabei nicht nur allen offen stehen, sondern vor allem den schwächsten, benachteiligsten und unfreiesten Menschen in einer Gesellschaft zu Gute kommen, also deren Freiheit und Handlungsspielraum erhöhen. Dieser stark egalitäre Aspekt seiner Theorie hat ihm wiederum von libertärer Seite den Vorwurf eingebracht, unter dem Deckmantel der Freiheit plumpe Gleichmacherei zu betreiben.[2]
Kritik aus unterschiedlichen Richtungen ist dabei natürlich kein Beleg für die Korrektheit einer solchen philosophischen Positionierung. Sie liefert aber ein Indiz dafür, dass das Rawlsche Freiheitsverständnis vor allem für den sozialdemokratischen Freiheitsdiskurs von großer Relevanz ist. Gerade die Sozialdemokratie hat schließlich den Versuch gewagt, freiheitliche Abwehrrechte gegen den Staat oder die Gesellschaft (wie die Versammlungsfreiheit) mit der organisierten, gesellschaftlichen Förderung von Freiheit durch die Mehrung der tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten unterer Einkommensschichten synergetisch zu verbinden. In der Terminologie des Philosophen Isaiah Berlin ausgedrückt hat die Sozialdemokratie also versucht, Ansprüche negativer und positiver Freiheitskonzeptionen[3] komplementär zu denken und als jeweils wechselseitige Voraussetzung zu verstehen. Und nicht zuletzt wurde auch die Sozialdemokratie, als soziale Bewegung und Partei ebenso wie als politische Weltanschauung, in ihrer Geschichte mit ähnlichen Vorwürfen wie Rawls aus unterschiedlichen politischen Richtungen konfrontiert. Weiterlesen