Am vergangenen Donnerstag hat Michael Schwemmle in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin erste Ergebnisse der Studie „Digitale Arbeit in Deutschland: Potenziale und Problemlagen“ vorgestellt. Die Studie wird zur Unterstützung der SPD-Gruppe in der Enquete-Kommission erstellt, sie soll in wenigen Wochen erscheinen. Folgend eine Kurzzusammenfassung der vorgestellten ersten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen:
Die digitale Arbeit – in der Studie definiert als berufliche Tätigkeit mit digitalen Arbeitsmitteln und Arbeitsinhalten – macht in Deutschland mittlerweile den überwiegenden Anteil der Arbeit aus. Die Vorstellung, dass es sich bei digitaler Arbeit um ein Nischenthema handelt, das nur ein paar Freiberufler und Web-Worker betrifft, ist falsch. Es betrifft die deutsche Arbeiterschaft in ihrer Mehrheit. Denn digitale Arbeit ist grade besonders dort anzutreffen, wo abhängig beschäftigt gearbeitet wird, und ihre Bedeutung steigt stetig an. Es ist kein „Selbständigenthema“.
Was die digitale Arbeit derzeit insbesondere ausmacht, ist eine neue Qualität in ihrer Beweglichkeit, und zwar auf drei Ebenen: die Inhalte sind überall abrufbar, über Geräte, die überall mit hingenommen werden können, von Menschen, die immer mehr in Bewegung sind. Das Problem ist, dass diese Art Arbeit mit alten Gesetzgebungen und Regeln kollidiert. Obgleich die bestehenden Regelungen bislang eine bedeutende Schutzfunktion für Arbeitnehmer hatten, passen sie nicht mehr zu den Bedingungen einer neuen Arbeitsrealität. Ein Arbeitsrecht, das auf feste Orte, feste Zeiten und feste Jobs ausgerichtet ist, gilt natürlich für viele Beschäftigten auch heute noch. Der Anpassungsdruck steigt jedoch, das Arbeitsrecht auf neue Arten der Arbeit anzupassen. Dass diese Anpassung nicht einfach wird, behandelt der arbeitsrechtliche Teil der Studie (der bei der Kurzvorstellung nur am Rand behandelt wurde).
Sehr deutlich müssen die positiven Seiten der Digitalisierung der Arbeit dargestellt werden: mit der Digitalisierung wird es zum ersten Mal möglich, eine neue Art der Erwerbstätigkeit zu organisieren, in der Leute arbeiten, wo sie wollen, wie sie wollen, auf eine für sie persönlich angenehme Weise. Die Digitalisierung kann Arbeitnehmer von örtlichen und zeitlichen Fesseln befreien helfen und damit großartige Möglichkeiten für würdevolle und gute Arbeit schaffen. Die Tragweite dieser positiven Optionen muss in der Debatte viel stärker herausgestellt werden. Nach Oskar Negt steht im Kern von Freiheit bzw. Unfreiheit die Frage, inwieweit Menschen die Möglichkeit gegeben ist, über Räume und Zeiten zu bestimmen. Damit kann die digitale Arbeit mehr reale Freiheit in den Alltag von Beschäftigten bringen. Dieses historische neue Emanzipationspotenzial muss ein Kernthema für sozialdemokratische Politik werden. Es liefert eine für die Arbeitnehmer positive Vision von Freiheit!
Damit Beschäftigte diese Orts- und Zeitsouveränität aber auch wirklich verlässlich durchsetzen können, muss einiges geschehen. Bisher ist es nicht gelungen, diese positiven Möglichkeiten wirklich auszuschöpfen. Vorgesetzte oder Auftraggeber sind heute oft in einer mächtigeren Position, indem sie mit Zwängen, Fristen und hohen Erwartungen an die Erreichbarkeit die positive Vision in ihr Gegenteil verkehren. Ein Extrembeispiel dafür ist das aktuell viel diskutierte Negativbeispiel IBM, bei dem die „Verflüssigung der Arbeit“ fast alle Schreckensvisionen Realität werden lässt. Das Schlimme an einem Beispiel wie IBM ist, dass es die Sicht auf die positiven Möglichkeiten verstellt und als ständig zitiertes Abschreckungsbeispiel dient. Eine sinnvolle Debatte über die Vorteile digitaler Arbeit wird dadurch wirkungsvoll verhindert.
Damit ist klar, dass digitale Arbeit nicht allein durch Technik besser wird. Die Autonomie der Mitarbeiter muss gesichert und geschützt werden. Damit das gelingt, darf das Thema „digitale Arbeit“ nicht allein als ein Punkt unter „Netzpolitik“ einsortiert werden, wo sich webbegeisterte Netzpolitiker schlimmstenfalls mangels Interesse nicht zuständig fühlen. Außerdem geht es weit über die reine Netzbetrachtung hinaus und verlangt zugleich das Engagement von Arbeitspolitikern. Viele von ihnen fühlen sich aber ebenfalls nicht dafür zuständig. So droht ein Vakuum, weil Netz- und Arbeitspolitik nicht zusammen daran arbeiten. Anstatt sich zu bekämpfen, sollten sie in einer gemeinsamen Netzarbeitspolitik vereint daran arbeiten, die Vision guter digitaler Arbeit Realität werden zu lassen. Die SPD ist die einzige Partei, die dies glaubwürdig leisten kann. Damit bietet sich mit dem Thema „digitale Arbeit“ eine Chance für die SPD, eine neue Humanisierungsoffensive zu starten und die Freiheitsvision der digitalen Arbeit Wirklichkeit werden zu lassen.
Was gilt es zu tun? Zunächst sollten wünschenswerte Entwicklungen gefördert werden. Mögliche Aktivitäten sind die Subventionierung von Coworking Spaces und von Telearbeitsstellen, sowie mehr Arbeitsforschung in diesem Bereich. Zweitens muss das Bildungswesen dahingehend angestoßen werden, zu neuen Arbeitsrealitäten passende Fähigkeiten zu vermitteln – bis hin zur Fähigkeit, auch abschalten und nicht erreichbar sein zu können. Und drittens müssen Fragen der Regulierung diskutiert werden: an welcher Stelle sind arbeitspolitische Interventionen gefragt, wo funktionieren Kollektivverträge, weil die Gewerkschaften im Spiel sind, und wo greifen diese nicht, weil es keine organisierten Kollektive gibt? Weite Teile des Regulierungsinstrumentariums müssen auf den Prüfstand. Das ist eine langfristige Aufgabe, für die sich aber außerhalb der SPD kaum jemand wirklich glaubwürdig stark macht.
Drei Forderungen können zudem kurzfristig aufgestellt und verfolgt werden, damit eine Entwicklung im Sinne besserer digitaler Arbeit gelingt: Erstens, ein Recht auf Telearbeit, als gesetzlichen Anspruch während der Arbeitszeit. Zweitens, ein Recht auf Nichterreichbarkeit (oder zumindest Nicht-Reaktion) außerhalb bestimmter Arbeitszeitkorridore (durchaus auch in Anlehnung an die kürzlich bei VW in Wolfsburg getroffene Regelung zur Nicht-/Erreichbarkeit über Smartphones). Und drittens, ein Recht der prekarisierungsgefährdeten Soloselbständigen darauf, in die sozialen Sicherungssysteme einzutreten, unter Beteiligung ihrer Auftraggeber.
Soweit meine Zusammenfassung von Schwemmles ersten Ergebnisauszügen. Im Anschluss wurde dann noch intensiv diskutiert; die Diskussion fand zudem am Folgetag auch Erwähnung beim Netzkongress der SPD-Bundestagsfraktion im Reichstagsgebäude. Sobald die Studie veröffentlicht ist, werden wir hier noch einmal darauf hinweisen.
drikkes
20. Juni 2012
Die Studie wird zur Unterstützung der SPD-Gruppe in der Enquete-Kommission erstellt
Das liest sich ja schon so, als hätte das Ergebnis der Studie bereits vor ihrer Erstellung festgestanden, weil das politisch so gewollt ist. Ach, so funktioniert das eben mit den parteinahen Stiftungen? Dann habe ich nichts gesagt.
Tobias Nehren
20. Juni 2012
Derartige Studien werden von Wissenschaftlern erstellt, die von der Ebert Stiftung beauftragt und bezahlt werden. Meines Erachtens sind die Studien von Naumann, Adenauer, Ebert Stiftung usw. keineswegs auf Parteilinie. Du kannst Dir ja gerne die unabhängige Propaganda der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft reinziehen und dann hoffen, dass der freie Markt der Wissensgesellschaft es regelt.
drikkes
20. Juni 2012
Es mag Ausreißer geben, aber Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, daß etwa die Studie der KAS über „Linksextremistische Argumentationsmuster“ nicht voll auf CDU/CSU-Linie liegt und mit unabhängiger Wissenschaft herzlich wenig zu tun hat? Auch Forscher beißen selten die Hand, die sie füttert.
Auf den Verweis zur INSM gehe ich gar nicht ein. Als ob der Verweis auf ein noch größeres Übel ein Argument wäre.
Martin Oetting
20. Juni 2012
@drikkes Ich weiß nicht, ob der Zynismus an dieser Stelle passt: die SPD hat sich bislang mit dem Thema schwer getan, das wird im Text ja deutlich. Die Studie erscheint mir eher als ein Weckruf, der klarmacht, dass da viel zu tun ist. Und dass da bislang Chancen verpasst werden.
Natürlich versucht die Studie, das Thema in einer Weise darzustellen, dass Sozialdemokraten damit etwas anfangen können. Denn die Macher dahinter sind alle in der SPD oder der SPD nah. Aber das ist ja nicht verwerflich.
Aber die Idee, dass die Digitalisierung von Arbeitsplätzen für eine sozialdemokratische Politik großartige Möglichkeiten bietet, ist aus meiner Sicht a) für viele in der SPD neu, und b) eine wirklich gute Nachricht. Und dass den Genossen mal endlich einer sagt, dass die Mehrheit der Arbeitsplätze in Deutschland mittlerweile digitale Arbeitsplätze sind (und nicht mehr im Kohlebergbau oder am Schweißgerät) ist doch nun wirklich eine gute Sache. Und zwar eine, die sicher so im Vorfeld nicht festgestanden hat.
drikkes
20. Juni 2012
Nein, ich teile ja die Inhalte weitgehend. Besonders gegen die drei Forderungen am Ende Deines Textes kann man ja schwerlich etwas einwenden. Und es ist ja auch okay, die Studie als positives Signal zu werten – schwarzgemalt wird schon genug. Ich persönlich bewerte das allerdings nicht ganz so rosig.
Andere haben mit den sich ändernden Arbeitswirklichkeiten auch Probleme. Was war es früher für die Tagesschau einfach, Berichte über Streiks der IG Metall zu bebildern: schwere Maschinen, große Hallen – das machte ordentlich was her. Da ist ein Schwenk über die Cubicles eines Großraumbüros natürlich wesentlich unspektakulärer.
Aber halt, die BIlder brauch man ja gar nicht einsetzen, denn das digitale Proletariat hat ja (noch) gar keine starke Interessenvertretung.
Zum Aufhänger: Ich finde nur die zitierte Formulierung etwas daneben. Genau das hört sich dann sehr nach altem Apparat an.
Martin Oetting
20. Juni 2012
Klar, arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen muss man in Digitalien anders bebildern als mit einem Maschinenpark. Das stimmt.
Und das, was Du sagst, ist ja genau der Punkt: dass die digital Arbeitenden eben endlich auch eine stärkere Interessensvertretung bekommen — weil sie eben mittlerweile die Mehrheit sind.
Dass Dir der Einstieg nicht gefällt, ist natürlich Dein gutes Recht, ich wollte den Hintergrund wiedergeben, um da auch auf jeden Fall Transparenz walten zu lassen.
drikkes
20. Juni 2012
Über die Herangehensweise ließe sich natürlich trefflich streiten. Klar, die SPD ist mal als Arbeiterpartei gestartet, da bietet sich das Thema „Netzarbeitspolitik“ als verknüpfter Stimmungsmacher sicher an. Blöd nur, wenn der nächste sozialdemokratische Bildungspolitiker um die Ecke kommt und (studienunterstützt oder nicht) erkennt: „Die Digitalisierung bietet ja enorme Möglichkeiten. Wir brauchen eine Netzbildungspolitik!“
Wie umfassend die Änderungen durch das Internet sind, brauche ich Dir nicht erklären. Die Verbindung der Netzpolitk mit nur einem der althergebrachten Aspekte kann keine Lösung sein. Zumal die digitale Arbeitswelt schon vielfältig genug ist. Ich beispielsweise gehe gerne ins Büro, eine pauschale „Subventionierung von Coworking Spaces“ wäre nicht unbedingt in meinem Sinne.
Martin Oetting
20. Juni 2012
Du triffst voll auf die Zwölf. Die Forderung, dass Netzpolitik ein Querschnittsthema ist, dass in allen Politikbereichen eingebaut werden muss, war dann ein Thema in der Diskussion direkt im Anschluss. Genau darauf habe ich hingewiesen. Schwemmle war auch absolut einverstanden, hat halt nur bei seiner Vorstellung aus seiner Sicht und aus Sicht der Studie die Verbindung zwischen Netzpolitik und Arbeitspolitik geschlagen. Und das wollte ich in meinem Text so wiedergeben.
Und es ist ja erstmal vernünftig, den Arbeitspolitikern konkret mit dem Thema zu kommen. Wenn man immer nur rumtönt, dass sich alle mit Netzpolitik auseinander setzen sollen, dann tut es keiner, weil sich keiner angesprochen fühlt. Wenn man aber mal in dieser Weise konkret wird, dann fühlen sich plötzlich Leute angesprochen. Das ist wie wenn man auf der Straße um Hilfe ruft — dazu gibt es ja Forschung: wenn man wahllos ruft, kommt oft keiner. Wenn man aber einen konkret anguckt und sagt „Sie da, Herr mit Hut, helfen Sie mir!“, dann kann der sich kaum wehren. Ich glaube, das ist mit der Netzpolitik genauso, wenn man die in andere Politikbereiche tragen will. Man muss halt Leute konkret angucken und sagen „Ihr jetzt!“. Und zwar reihum.
Dass Netzpolitik in alle Bereiche gehört, ist dann am Tag drauf auch im Kongress im Bundestag besprochen worden. Und das nächste SPD-Barcamp heißt deswegen ja auch „Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik“ (http://www.spd.de/aktuelles/73466/201206_ankuendigung_barcamp.html) — mit anderen Worten: Du läufst weit offene Türen ein.
Was die Coworking Spaces betrifft: auch Deiner Meinung. Ich fand die Idee selbst ein wenig sonderbar, aber auch die habe ich so wiedergeben wollen, weil sie eben Teil des Beitrages war.
Jens Best
20. Juni 2012
@drikkes
Ich verstehe deine Kritik nicht, Hendrik.
Über die Realität des heutigen Arbeitslebens nachzudenken und politisch sich die Frage nach einer Gerechtigkeit im System zu stellen, ist dringend notwendig.
Das Internet, Hard- und Software haben quasi alle Bereiche des Lebens durchdrungen und viele bisherige Paradigmen und Prozesse auf den Kopf gestellt bzw. zumindest hinterfragt.
Wenn z.B. die MyTaxi-App die sozialen Interaktionen und beruflichen Sicherheiten einer ganzen Branche umstellt, wenn die Musikbranche mehr und mehr auf access-basierte Einnahmemodelle setzt oder in vielen Branchen Projekt-Teams quer über die Welt verteilt sind, muss gesellschaftlich geschaut werden, ob die damit neu sortierten Berufsrealitäten gerecht und fair für den Einzelnen und die Gemeinschaft funktionieren. Eben Arbeitspolitik in einer digital durchdrungenen Welt.
Es wäre eine großer inhaltlicher Schritt, wenn die doch sehr bunte Gruppe der „Netzpolitker“ und „Netzaktivisten“ sich anfängt auszudifferenzieren in die realen Politikfelder. Das ist dann auch kein sozialdemokratischer „Stimmungsmacher“, wie du schreibst, sondern die Auflösung des Querschnittsbegriffes „Netzpolitik“ in digitale Gesellschaftspolitikfelder.
Netzneutralität und konvergente Medienrealitäten im ÖRR sind für mich z.B. Aufgaben einer Medienpolitik des 21. Jahrhunderts. Klar weiss momentan jeder Netzpolitiker, dass in den Medienkommissionen der Parteien eher so die TV-Elefanten sitzen, aber deswegen sollte man sich nicht in eine kleine Ecke verkriechen und „Netzpolitik“ draufschreiben.
Gleiches gilt für Arbeitspolitik, Wissenschaftspolitik, Bildungspolitik etc. Überall verändert das Web strukturell & systemisch und in vielen kleinen Details die bestehenden Prozesse. Statt stupidem Abwehrkampf oder blinder Techno-Begeisterung ist eben angesagt, diesen Wandel verantwortlich zu gestalten. Dafür braucht es einen Wertekanon, auf dem man sich praktisch der Realitätsgestaltung widmen kann. Im Kern ist genau das für mich die Funktion einer Partei.
Wenn es nach mir ginge, würde wir den Begriff „Netzpolitik“ lieber heute statt morgen über Bord werfen, weil damit nur die notwendige substanzielle Herausforderung des Internets an die gesamte Gesellschaft verzögert wird.
Die Studie ist ein guter Schritt in die richtige Richtung.
drikkes
21. Juni 2012
Wie gesagt, inhaltlich kann ich da nur zustimmen. Insofern habe ich mich – verstehen hin, teilen her – vielleicht nicht klar genug ausgedrückt. Politik muß ja auch umgesetzt werden und Kommunikation (an den Bürger adressiert) läuft über Köpfe. Köpfe bedeuten in erster Linie Posten. Da spielt bei Verfolgung auch noch der edelsten Ziele immer auch Machtverteilung mit hinein. Auf gut deutsch: Der arbeitspolitische Sprecher wird sich bedanken, wenn es jetzt auch noch einen netzarbeitspolitischen Sprecher gibt. Oder er sogar durch ihn ersetzt wird.
Gerade, weil die Digitalisierung umfassend in alle Lebensbereiche hineinwirkt, besteht die Gefahr, daß Netzpolitik so solange verdünnt wird, bis sie wegdiffundiert ist. Denn meiner Meinung nach hat sich das Thema keineswegs in einer „kleinen Ecke verkrochen“, wie Du schreibst. (Es mag an der Filterbubble liegen, aber( Ich finde, das Thema – gemessen an der Lebenswirklichkeit der Mehrheit – doch sehr prominent positioniert. Was natürlich daran liegt, daß die Medienberichterstattung hier zu ureigenste Interessenvertretung betreibt.
Und genauso abgehoben finde ich teilweise die Forderungen. Natürlich sitzen heute mehr Angestellte vor Rechnern als Leute in Fabriken schuften, aber deswegen sind die noch lange alle nicht digitale Boheme. Du brennst hier ein wahres Phrasenfeuerwerk ab, aber wie Du die viel beschworene Basis erreichen willst, das bleibt doch recht nebulös.
Jens Best
21. Juni 2012
@drikkes
Da haben sich doch gleich mehrere Missverständnisse eingeschlichen.
Ob Politik nur über Köpfe/Posten funktioniert bezweifle ich stark. Dennoch gehört es sicher dazu, dass auch Vertreter/Delegierte die digitalen Implikationen ihres Politikfeldes verstehen, um diese entsprechend gegenüber der Bevölkerung verdeutlichen und in Verhandlungen einbringen zu können.
Ich denke nicht, dass es darum gehen soll, einem arbeitspolitischem Sprecher einen netzarbeitspolitischen Sprecher zur Seite zu stellen oder ihn mit einem solchen zu ersetzen. Das ist gleich auf mehreren Ebenen eine falsche Denke.
Erstens sollte klar sein, dass es nicht dauerhaft nur „einen Sprecher“ geben kann, der für ein so großes Thema wie ‚Arbeit‘ zuständig sein kann. Dies lässt weder die Breite noch die Interdisziplinärität des Themas zu.
Zum Glück sind es ja auch immer mehr gut überlegt zusammengesetzte Kern-Teams, die ein Thema mit einem gewissen Wertebild bearbeiten, um daraus eine umsetzbare Richtung in der Politik zu finden.
Zweitens geht es sicher nicht darum, jedem Sprecher eines Politikfeldes einen digitalen Ergänzungssprecher anbeizustellen. Vielmehr muss man von einem Arbeitsspezialisten erwarten können, dass er/sie die Implikationen des digitalen Wandels kritisch-positiv reflektiert und in die Analyse einfliessen lässt.
Zum nächsten Punkt: Begriff „Netzpolitik“
Allein in deinem kurzen Stück merkt man die vielfältige Verwirrung, die bei diesem Begriff entsteht. Wenn du sagst, dass Medien aktuell viel berichten, weil sie wohl auch ihre eigene Interessenvertretung hier (illegitim) vollziehen, dann sprichst du wohl die Debatte über das Urheberrecht an.
Netzpolitik ist aber viel mehr. Wir streiten uns wegen Vorratsdatenspeicherung oder Netzneutralität – und nennen es Netzpolitik.
Wir reden über Veränderungen in der Arbeitswelt vieler Berufe – Und nennen das Netzpolitik.
Wir diskutieren international über mehr Transparenz in öffentlichen Fragen – und nennen es Netzpolitik.
Warum tun wir das? Weil es ein Arbeitsbegriff war, mit dem eine Bewegung ihre Kernmotivation möglichst einfach beschreiben wollte. Solche Worte sind wichtig, insbesondere wenn etwas umfangreich Neues in die Welt tritt, aber sie helfen nicht weiter, wenn man denn evolutionären oder von mir aus auch revolutionären Wandel ausdifferenziert „unter die Leute bringen will“ und damit die Prozesse zu ändern.
Selbes gilt auch für Begriffe wie OpenData oder OpenGov, damit erreichst du auch nicht die breite Bevölkerung – wenn du ihnen den Nutzen und den Spass an freier Information in ihrer Gemeinde oder ihrer Gemeinschaft aufgezeigt hast, aber schon.
Wenn der Reisebüro-Angestellte merkt, dass große Teile seiner bisherigen Arbeit bereits vom potentiellen Kunden online erledigt wurde, dann merkt er, dass hinter dem Monitor sitzen und Zahlen vorlesen eben keine Jobbeschreibung mehr ist.
Wenn immer mehr Prozesse des B2B und erst recht des B2C Handels online und mit neuen Skills zu erledigen sind, dann umfasst das nicht nur ein paar Designer, die im Oberholz sitzen, sondern große Gruppen von Angestellten.
Last but not least, wenn sich die Innovationsprozesse in einem Unternehmen öffnen, ist der Arbeiter, der Jahrzehnte lang gelernt hat, nur unter grösster Beachtung der Hierarchien seinen Mund aufzumachen, dann ist auch das einer vernetzteren datenbasierten Kommunikation geschuldet.
Du siehst, es geht bei weitem nicht (mehr) um Digitale Bohemé, sondern um die Frage, wie wir in einer besser vernetzten und datenintensiveren Welt, die alltägliche Komplexität der einzelnen Berufe kritisch-positiv annehmen und alte Fragen der Gerechtigkeit und Produktivität neu beantworten.
Ein letztes zu deinem Unverständnis meines „in die Ecke verkriechen“. Damit meinte ich die Realität in den Parteien. Die Netzpolitik in der SPD z.B. wird von einem Gesprächskreis der Medienkommission abgefrühstückt. Das weisst nicht etwa, dass das dann in der Medienkommission ankommt. Da sitzen bis heute die alten TV- & Filmelefanten und wollen „dieses Internet“ schön außenvorhalten – eben in einem Gesprächskreis.
Gleiches gilt für die meisten anderen Parteien.
Man könnte sogar sagen, dass gerade die Politikrealität mit am weitesten von der digitalen Realität des anbrechenden 21. Jahrhunderts entfernt ist in Deutschland. Zusammen mit den ganzen Lobby-Fritzen, die es auch gerne hätten, dass das möglichst lange so bleibt.
Und genau aus diesem Grund ist es wichtig so verdeutlichen, dass Netzpolitik nicht die drei Tags: Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren und Urheberrecht, sonder vielmehr Arbeit, Bildung und Fortschritt bedeutet.
So, dass waren jetzt wieder bestimmt >2279 Zeichen, aber ich bin mir sicher, dass die Marketing-Fritzen von D64 uns schon morgen mit einem wunderbaren Kampagnen-Claim überraschen werden, dem dann zwar jeder zustimmen kann, aber keiner die Implikationen hören will…..
Bernd
30. August 2012
Sozialdemokratie
In einem Zustande beständiger Auflehnung gegen die geistliche und weltliche Obrigkeit befindet sich die Sozialdemokratie. Auf politischem Gebiete erstrebt sie die Republik, also Auflehnung gegen Kaiser und König. Auf ökonomischem Gebiete erstrebt sie den Sozialismus, d.h. volle Gleichheit; also Auflehnung gegen die bestehende Gesellschaftsordnung. Endlich auf religiösem Gebiete erstrebt sie den Atheismus, d.h. die Gottlosigkeit; also Auflehnung gegen Gott, seine Kirche und deren Diener. Deshalb sind auch die Führer der Sozialdemokratie und deren bewussten Anhänger aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen. Lass dich, christlicher Mann oder Jüngling, niemals betören, der Sozialdemokratie beizutreten. Mag sie auch ihre verderblichen Grundsätze zu verbergen suchen, indem sie sich die Partei der Arbeiter nennt, die nur deren wirtschaftliche Interessen fördern will und Religion im übrigen Privatsache eines jeden sein lässt, halte dich ferne von ihr. Auf dem Wege des Aufruhrs wird man niemals wirtschaftliche Interessen fördern und mit Gottlosigkeit niemals Religion noch als Privatsache gelten lassen, wie es ja die Erfahrung lehrt. Ohne Gottes Segen wird hienieden nichts von Dauer sein; anstatt Segen ruft aber die Sozialdemokratie Gottes Fluch auf sich hernieder.