Fünf Mitglieder der AG Künstliche Intelligenz von D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt haben für die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Publikation die Wirkung von Onlineplattformen und deren Empfehlungsalgorithmen auf demokratische Meinungsbildung untersucht. Sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene gibt es erste Initiativen, die den damit einhergehenden Risiken entgegenwirken sollen. Das Fazit von Maximilian Gahntz, Katja Neumann, Philipp Otte, Bendix Sältz und Kathrin Steinbach: Die Richtung stimmt, doch wir brauchen mehr Forschung.
Australischen Facebook-Nutzer:innen, die Mitte Februar einen Blick auf ihren Facebook-Feed warfen, präsentierte sich ein ungewohntes Bild: ein Feed ohne Nachrichten. Denn im Machtkampf um ein Gesetzesvorhaben der australischen Regierung, das Plattformen wie Facebook oder Google dazu zwingen sollte, Medienhäuser für nachrichtliche Inhalte zu vergüten, ließ Facebook seine Muskeln spielen – und nahm Nutzer:innen die Möglichkeit, solche Inhalte auf der Plattform zu sehen und zu teilen. Zwar konnte sich Facebook nach wenigen Tagen mit der australischen Regierung auf einen Kompromiss einigen, doch zeigt das Manöver, welch große Rolle Plattformen heutzutage in unserer politischen Öffentlichkeit spielen.
Der Konsum von Nachrichten verschiebt sich zunehmend in digitale Räume. So ergab eine Umfrage des Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford aus dem vergangenen Jahr, dass 37 Prozent der Befragten in Deutschland soziale Medien als Nachrichtenquelle nutzen, mit steigender Tendenz. Zum Vergleich: Bei traditionellen Printnachrichten liegt dieser Anteil nur noch bei einem Drittel der Befragten. Große Plattformen – oder auch “Medienintermediäre” – wie Facebook, Twitter oder Google setzen dabei nicht nur Verlage und andere Medienunternehmen wirtschaftlich unter Druck. Sie verändern auch, wie Nachrichten präsentiert werden, wie wir mit Inhalten umgehen und wie gesellschaftliche Debatten geführt werden. Doch wie genau zeigen sich diese Verschiebungen in der Medienlandschaft? Welche Auswirkungen haben sie auf politische Öffentlichkeit? Und wie kann die Politik dem begegnen, um sicherzustellen, dass diese Umwälzungen unsere Demokratie nicht untergraben?
Tausche Pressekodex gegen Werbeerlöse
Wer welche Inhalte im Facebook-Feed, in YouTube-Empfehlungen oder in Google-Suchergebnissen vorfindet, entscheidet keine Chefredaktion. Stattdessen sind hier die Algorithmen der Medienintermediäre am Werk. Diese bestimmen auf Basis von früheren Interaktionen und Nutzer:innendaten, welche Inhalte in welcher Reihenfolge angezeigt werden – wer also besonders häufig Videos anschaut und Tweets von D64 retweetet, bekommt in Zukunft mehr Videos und D64-Tweets angezeigt. Ziel ist dabei in der Regel, Nutzer:innen möglichst lange auf der Plattform zu halten. Denn die bedeutendsten Intermediäre sind nicht nur soziale Netzwerke oder Suchmaschinen, sondern auch die größten Werbekonzerne der Welt. Eine längere Nutzungsdauer bedeutet für diese also vor allem auch: höhere Werbeerlöse. Wie genau ihre Algorithmen funktionieren und nach welchen Kriterien Inhalte sortiert werden, geben die Intermediäre kaum preis. Klar scheint jedoch, dass journalistische Qualität und nachrichtliche Relevanz dabei nachrangig sind.
Dieser Grundlogik entspringt eine ganze Reihe von Problemen. So bleibt etwa die algorithmische Kuratierung für Nutzer:innen intransparent und wird häufig sogar als vermeintlich “objektiv” wahrgenommen. Auch versprechen “Clickbaiting” und emotionalisierende Inhalte höhere Reichweiten für Onlinemedien. Nicht zuletzt wird häufig darauf verwiesen, dass Intermediäre durch ihre Algorithmen dazu beitragen, dass sogenannte Filterblasen und Echokammern entstehen – (digitale) Räume, in denen vorhandene Meinungen und Haltungen nicht nur reproduziert, sondern auch verstärkt werden. Zwar ist das Konzept plausibel, jedoch nicht zweifelsfrei erwiesen. Die Forschung legt vielmehr nahe, dass sich verschiedene Funktionen und Designentscheidungen der Plattformen sehr unterschiedlich auf Nachrichtenkonsum und politische Meinungsbildung auswirken können. So wird auch klar: Wir haben noch lange kein umfassendes, tiefgehendes Verständnis vom Umgang mit und den Auswirkungen von Onlineplattformen.
Das Ende des Wild Wild Web?
Diese Probleme haben auch längst die Aufmerksamkeit der Politik geweckt. Nachdem die Intermediäre jahrzehntelang weitestgehend unbehelligt ihre Geschäftsmodelle ausbauen konnten, wollen Gesetzgeber nun neue regulatorische Leitplanken setzen. Den Anfang machten dabei in Deutschland die Bundesländer mit dem im November 2020 in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag (MStV). Seitdem dürfen Intermediäre bestimmte Anbieter:innen von Medieninhalten nicht systematisch bevorzugen oder benachteiligen, beispielsweise Inhalte einer bestimmten Partei stets besonders prominent darstellen. Hiergegen können sich Landesmedienanstalten oder Anbieter:innen von Medieninhalten künftig wehren – wobei der Nachweis vor Gericht nicht einfach werden dürfte.
Damit Nutzer:innen künftig bewusster mit den ihnen angezeigten Medieninhalten umgehen können, müssen Intermediäre zudem transparent machen, nach welchen Kriterien sie Inhalte auf ihren Seiten platzieren und wie ihre Algorithmen funktionieren. Das könnte insbesondere dabei helfen, Nutzer:innen die der Inhaltsauswahl zugrunde liegenden Wertentscheidungen deutlich zu machen. Noch wirkmächtiger könnte die Regelung werden, wenn Nutzer:innen etwa auch eine rein chronologische Sortierung auswählen könnten.
Die EU will große Plattformen in die Pflicht nehmen
Auf europäischer Ebene könnten Intermediäre in naher Zukunft durch den Digital Services Act (DSA) reguliert werden: Der im Dezember 2020 veröffentlichte Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission stellt spezielle Anforderungen an besonders große Plattformen, die monatlich im Durchschnitt mindestens 45 Millionen EU-Nutzer:innen haben. Im Hinblick auf die Transparenz von Empfehlungsalgorithmen müssten sie die Hauptkriterien der Algorithmen in klarer, zugänglicher und leicht verständlicher Weise in ihren Nutzungsbedingungen offenlegen. Zudem sollen Nutzer:innen die Wahl zwischen personalisierten und nicht-personalisierten Empfehlungen haben.
Gleichzeitig möchte die Europäische Kommission den Datenzugang sowohl für Aufsichtsbehörden als auch für Forscher:innen stärken: So könnten nationale Aufsichtsbehörden und die Kommission von großen Plattformen auf Antrag die nötigen Daten erhalten, um Compliance-Prüfungen durchzuführen. Zudem sollen unabhängige Forscher:innen mit entsprechender Expertise Zugang zu Daten bekommen, wenn sie Forschungsprojekte zu „systemischen Risiken“ dieser Unternehmen umsetzen. Der DSA-Entwurf verpflichtet somit insbesondere große Plattformen zu mehr Transparenz und stärkt die Autonomie der Nutzer:innen. Der DSA würde so in mancher Hinsicht noch weiter gehen als der MStV und zugleich zu einer Harmonisierung der Regeln auf europäischer Ebene beitragen – bis er jedoch beschlossen und rechtskräftig ist, werden wohl noch mehrere Jahre ins Land ziehen.
“Mit Geduld und Vorstellungskraft können wir demokratische Werte auch in einem drastisch veränderten Mediensystem verankern.”
Wohin führt der Weg?
Über das Zusammenspiel von Intermediären und politischer Öffentlichkeit wissen wir immer noch wenig. Der Stand der Forschung liefert erste Einblicke, doch ein tiefgehendes Verständnis der verschiedenen Wirkmechanismen und Probleme fehlt. Es sollten deshalb keine überstürzten Lösungen für Probleme vorangetrieben werden, die in vielerlei Hinsicht noch nicht verstanden sind. Doch nicht alle Initiativen kommen zu früh. Bereits heute werden die Grundlagen dafür geschaffen, die beschriebenen Herausforderungen langfristig zu überwinden. Der Medienstaatsvertrag und der DSA-Entwurf sind dabei Schritte in die richtige Richtung, doch greifen teils zu kurz.
Um Forschung zu Intermediären und ihre demokratische Kontrolle zu fördern, braucht es vor allem Transparenz. Ein umfassender Datenzugriff für Aufsichtsbehörden, Forscher:innen und die Zivilgesellschaft ist dabei essenziell. Damit sich Bürger:innen in unserer Demokratie frei und unabhängig informieren und eine Meinung bilden können, gilt es zudem, ihre Autonomie im Umgang mit Intermediären zu stärken. Das umfasst in einem ersten Schritt stärkere Transparenz im Hinblick auf die Funktionsweise von Empfehlungsalgorithmen. Darüber hinaus sollten Nutzer:innen aber auch aktiv in die Personalisierung einwilligen und, falls sie dies tun, mehr Einfluss auf die der Personalisierung zugrunde liegenden Kriterien ausüben können.
Soziale Medien und Suchmaschinen werden auf absehbare Zeit nicht verschwinden – aus gutem Grund. Sie schaffen neue Möglichkeiten für Austausch und Partizipation und können dabei helfen, Informationen auffindbar und sortierbar zu machen. Die Uhr zurückzudrehen ist keine Lösung. Denn sicherlich möchten sich nicht alle Australier:innen über Facebook informieren, aber viele eben doch. Die diskutierten Risiken, die damit einhergehen, können im Zaum gehalten werden – sofern Intermediäre an klare Regeln gebunden sind. Das ist keine einfache Aufgabe. Doch mit Geduld und Vorstellungskraft können wir demokratische Werte auch in einem drastisch veränderten Mediensystem verankern.