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Big Brother made in Germany: Neues Online-Tracking über Mobilfunk-Kennung

2023 genehmigte die Europäische Kommission das Ad-Tech-Joint-Venture "Utiq". Der Dienst bietet eine Ad-ID-Lösung als Ergänzung zu herkömmlichen Tracking-Mechanismen und verspricht Datenschutzfreundlichkeit. Unsere ausführliche Analyse untersucht die Chancen und Risiken dieses Ansatzes.
D64-Mitglieder sitzen in einem Tagungsraum auf Stühlen (im Kreis angeordnet). Vorne referiert ein Mitglied vor einer Leinwand mit Projektion.
Foto: D64/Fionn Große

Am 10. Februar 2023 hat die Europäische Kommission die Gründung eines neuen Ad-Tech-Joint-Ventures genehmigt, genannt „Utiq“. Dahinter stehen die führenden europäischen Telekommunikationsunternehmen Deutsche Telekom, Orange, Telefónica und Vodafone, welche mit dem gleichnamigen Service „Utiq“ (vormals „TrustPid“) eine Ad-ID-Lösung als Ergänzung zu herkömmlichen Tracking-Mechanismen anbieten.

D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt hat sich intensiv mit Utiq auseinandergesetzt, Informationen zusammengetragen und stand im direkten Austausch mit dem Unternehmen. Die Ergebnisse unserer Recherche haben wir ausführlich im Papier „Utiq unter der Lupe – Zukunft des Trackings oder Bedrohung für die digitale Privatsphäre?“ dargestellt.

Im April dieses Jahres hat Utiq eine Kollaboration mit dem Vermarkter IQ Digital angekündigt, zu dem unter anderem die FAZ, die Handelsblatt Media Gruppe, die SZ und Die Zeit gehören und welcher nach eigenen Angaben 35 Mio. Nutzer:innen erreicht.

Torben Dzillak, Co-Koordinator der AG Datenschutz, kommentiert:

Mehr Tracking ist nicht der richtige Weg zu mehr Datenschutz.

Beim Tracking-Ansatz von Utiq werden die IP-Adressen und Mobilfunknummern der Nutzer:innen verwendet, um eine pseudonyme Kennung zu generieren. Ausgangspunkt ist das Öffnen der Webseite eines Utiq-Kunden per Smartphone, auf welcher dann die Einwilligung der Nutzer:innen unabhängig vom Cookie-Banner erfragt wird. Stimmen die Nutzer:innen zu, werden sie getrackt. Ab dann können sie bei späteren Besuchen der ursprünglichen Webseite oder auch bei Besuchen auf anderen Webseiten, die den Tracking-Service von Utiq nutzen, wiedererkannt werden.

Dieses Verfahren wird durch Utiq als besonders datenschutzfreundlich und orientiert an den Nutzer:innen beworben. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich jedoch ein ambivalentes Bild.

Einerseits:

  • Es besteht die einfach zugängliche Option, zentral allen Verarbeitungen durch Utiq in dem sogenannten Consent Hub zu widersprechen. Dass diese Funktion angeboten wird, bewerten wir als positiv. So können Nutzer:innen, die nicht von Utiq getrackt werden möchten, dies mit einer einzigen Einstellung sicherstellen.
  • Wir bewerten die von Utiq gegenüber ihren Kunden vertraglich vorgegebene Gestaltung der Consent-Banner und der darin angezeigten Informationen als positiv. Im Vergleich zu herkömmlichen Cookie-Bannern wird dabei ausdrücklich auf dark patterns verzichtet.
  • Der Tracking-Mechanismus beruht auf der Infrastruktur der Netzbetreiber, für die Funktionsweise des Produkts ist also eine enge Verbindung zu diesen notwendig. Positiv zu nennen ist dabei, dass es sich hier im Unterschied zu dem global verteilten Netz aus Data Brokern um wenige Telekommunikationsunternehmen mit Sitz in der EU handelt und damit die Durchsetzung der DSGVO leichter möglich ist.

Andererseits:

  • Negativ bewerten wir hingegen, dass eine getätigte Opt-out-Entscheidung ohne erkennbare Notwendigkeit nach einem Jahr erlischt und dann erneuert werden muss. Eine bewusst getätigte Aktion von Nutzer:innen nach einem Jahr zu verwerfen, wertet die Souveränität der Nutzer:innen ab und wirkt, als ob hier eine Unachtsamkeit der Nutzer:innen zu deren Nachteil ausgenutzt wird.
  • Zudem sehen wir die Anzeige eines neben dem üblichen Cookie-Banner zusätzlichen Consent-Banners als kritisch. Während der Service dadurch sichtbar abgegrenzt wird, wird ein zweites Banner von Nutzer:innen voraussichtlich als störend empfunden und die Bereitschaft, sich mit der Verarbeitung der eigenen Daten auseinanderzusetzen, nicht erhöhen.
  • Dass Utiq von den vier großen europäischen Telekommunikationsanbietern gegründet wurde, bietet zwar bessere Möglichkeiten zur Kontrolle und Schaffung von Transparenz. Es bedeutet aber auch, dass zu den bereits hohen Datenmengen, die bei diesen Unternehmen liegen, noch weitere, vor allem personenbezogene, Daten hinzukommen und sich damit die Gefahr eines großflächigen Missbrauchs der Daten erhöht.
  • Es ist möglich, dass Kunden den Tracking-Service von Utiq mit anderen Tracking-Technologien kombinieren und damit die von Utiq eingesetzten Anonymisierungs- & Datenschutzmaßnahmen umgangen werden. Im Ergebnis würde dies dazu führen, dass Nutzer:innen durch Utiq nicht mehr, sondern weniger Kontrolle über die Verwendung ihrer Daten erhalten und das Risiko von Datenmissbrauch erhöht wird.

Würde eine Webseite lediglich Utiq und keine anderen Tracking-Mechanismen verwenden, ließe sich in Relation zu herkömmlichem Tracking von einem Zugewinn an Datenschutz und Datensouveränität für Nutzer:innen sprechen. Es ist jedoch nicht abzusehen, dass Webseitenbetreiber so vorgehen werden. Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass Utiq als Ergänzung zu bisherigem Tracking eingesetzt wird und damit weitere nicht-kontrollierbare und für Nutzer:innen intransparente Kombinationen der Erfassung und Auswertung von Nutzer:innendaten ermöglicht.

Ein tatsächlicher Fortschritt wären Technologien, welche nicht weitere Möglichkeiten zur Verfolgung von Nutzerverhalten schaffen, sondern Alternativen zu Tracking bieten, die den Schutz von Daten tatsächlich an erste Stelle setzen.

AG Datenschutz

Die AG Datenschutz befasst sich mit verschiedenen Aspekten im Zusammenhang mit Daten. Wir erarbeiten, wie diese zum Wohle der Bevölkerung genutzt werden können und wie die Privatsphäre aller Bürger:innen geschützt werden kann. Dabei geht es insbesondere um Tracking im Internet, Gesichtserkennung, Videoüberwachung und Open Data.

Mitwirkende

Torben Dzillak ,
Susanne Klausing ,
Bendix Sältz ,
Falko Ortolf ,
Erik Tuchtfeld ,
Joachim Lindenberg

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