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Die Zukunft des Internets: Mehr als Facebook, Google und Co

Dieser Text unseres Co-Vorsitzenden Henning Tillmann erschien als Gastartikel in der Zeitschrift „Politik und Kultur“ (06/2019) des Deutschen Kulturrats. Die Ausgabe kann hier als PDF-Fassung heruntergeladen werden. Die Zeitschrift verzichtet leider vollständig auf eine gegenderte Sprache. Die...

Dieser Text unseres Co-Vorsitzenden Henning Tillmann erschien als Gastartikel in der Zeitschrift „Politik und Kultur“ (06/2019) des Deutschen Kulturrats. Die Ausgabe kann hier als PDF-Fassung heruntergeladen werden. Die Zeitschrift verzichtet leider vollständig auf eine gegenderte Sprache.

Die technische Grundlage des World Wide Webs ist beispielgebend für Heterogenität und Gleichberechtigung: Jeder Inhalt ist über eine einzigartige URL ansprechbar. Diese URL mag zwar in manchen Fällen lang und kryptisch sein, aber ist die Adresse einmal abgespeichert, kann der Inhalt beliebig oft abgerufen werden – bis der Anbieter des Inhalts diesen vom Netz nimmt. Eben jene Dezentralität war der Grundpfeiler des Web der ersten 20 Jahre. Tim Berners-Lee, der 1989 das World Wide Web erfand, sagte zum 30-jährigen Geburtstag dem britischen Guardian: „Der entscheidende Faktor ist die URL. Das Entscheidende ist, dass man zu allem verlinken kann.“

Heute besteht das Internet zu einem großen Teil aus mehreren Netzwerken von Ökosystemen: Amazon, Facebook, Google und wenigen anderen. Wer heute „im Internet ist“, meint damit häufig, dass er einen Dienst eben jener Anbieter verwendet. Digitale Ökosysteme entsprechen Walled Gardens, also Umgebungen, die von außen nicht zu erreichen sind. Diese werden über Smartphone Apps oder geschützte Bereiche im Netz aufgerufen. Eine URL gibt es nicht oder ist für die Allgemeinheit somit nicht aufrufbar. „Aber wenn es aus der Nutzersicht keine URL gibt, dann haben wir verloren“, stellte Tim Berners-Lee gegenüber dem Guardian fest.

Augenscheinlich bieten die Ökosysteme bzw. Walled Gardens für viele Gruppen Vorteile: Für Nutzer steht der Komfort an erster Stelle: eine vertraute und sichere Umgebung, Empfehlungssysteme (die auf den Daten der Nutzer basieren) und reduzierte Komplexität. All dies kann zu erhöhter Zahlungsbereitschaft führen. Für Inhalteanbieter bieten diese Ökosysteme den Vorteil, dass Zahlungs- und Abrechnungssysteme vorliegen, die Anzahl der Vertragspartner übersichtlich bleibt und eine hohe Anzahl an Nutzern direkt ansprechbar ist.

Walled Gardens stehen aber der Grundphilosophie des Internets grundlegend entgegen. Hinzu kommt, je dominanter Ökosysteme sind, desto weniger können sich Nutzer und Dritte diesen entziehen. Ferner sind die Plattformbetreiber durch nicht funktionierende (Stichwort: kartellrechtliche und steuerrechtliche Fragen) oder fehlgeleitete staatliche Regulierungsansätze (Stichwort: EU-Urheberrechtsreform), in Kombination mit den schnellen technologischen Entwicklungsdynamiken und der transnationalen Dominanz weniger Unternehmen, nicht nur marktbeherrschend sondern immer in der stärksten Verhandlungsposition.

Die im Frühjahr 2019 beschlossene EU-Urheberrechtsreform wird dieses Problem nur verstärken und sich als Pyrrhussieg der Befürworter herausstellen. Das wohl berechtigte Anliegen, den Rechteinhabern gegenüber den großen Internetplattformen eine bessere Verhandlungsposition zu ermöglichen, wird zwar kurzfristig befriedigt, gleichzeitig befördert die Reform die Monopolbildung. Das Internet wird eben nur auf die großen Plattformen reduziert. Kleine Webangebote, die älter als drei Jahre sind, werden praktisch genau so behandelt wie Googles YouTube. Da die Reform nun zu einer prinzipiellen Haftung von Plattformen führt, werden eben diese versuchen, ihre Risiken zu minimieren. Dazu werden sie so genannte Upload-Filter einsetzen, die nicht lizensiertes urheberrechtlich geschütztes Material herausfiltern werden. Diese Filter sind jedoch technisch kaum umzusetzen – insbesondere nicht für kleinere oder mittlere Unternehmen – so dass sie auf Filtersoftware zurückgreifen werden, die zumindest einigermaßen erprobt ist. „Content ID“ (Googles Upload-Filter) wird seit über 10 Jahren entwickelt und kostete den Konzern bereits über 100 Millionen (!) US-Dollar in der Entwicklung. Sobald die Richtlinie national in Kraft tritt, wird Google als einer der wenigen Anbieter mit hoher Wahrscheinlichkeit eben jene Filter gegen Nutzungsgebühr zur Verfügung stellen. Nicht nur, dass dies kleinere und mittlere Plattformen vor finanzielle Herausforderung stellt, das weitaus größere Problem wird sein, dass der gesamte Datenstrom vor einem Upload erst einmal durch den Filter eines Anbieters gehen wird.

Es bedarf also eines Umdenkens: Wie kann aus dem Internet wieder das werden, was es war und in seiner Konstruktion sein soll? Ein Netz der Heterogenität, der Neutralität und Gleichberechtigung, der Auffindbarkeit von Inhalten – also ein Netz der Netze. Und vor allem auch: echter Wettbewerb durch weniger Ökosysteme. Bezogen auf die Urheberrechtsreform hätte man dies mit Pauschallizenzen bei unklarer Lizenzlage, festen Urheberrechtsaggaben für die großen Plattformen und Mindestbeteiligungen für Künstler und Autoren regeln können. Durch die Haftungsumkehr werden aber eben jene kleine Anbieter – das Designforum oder die Koch- App – darunter leiden. Die Haftungsumkehr (statt dem vielleicht nicht immer perfekten aber dennoch bewährtem Notice-And-Takedown) werden nur die Größten der Großen tragen können; sowohl technisch, wie auch finanziell und personell.

Vorschläge zur Stärkung des bunten, vielfältigen und dezentralen Internets gibt es genügend. Ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Kulturschaffenden und der Netzgesellschaft ist dringend notwendig. Denn die Ziele sind überraschend gleich: Mehr Vielfalt durch gesicherte Meinungsfreiheit und lebendigere Kultur.

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