Die Europäische Union (EU) will gemeinsame europäische Datenräume in verschiedenen wichtigen Sektoren schaffen. Einer dieser Sektoren ist „Mobilität“. Bereits in ihrer Datenstrategie vom Februar 2020 hat die Europäische Kommission daher eine Initiative für einen gemeinsamen europäischen Mobilitätsdatenraum angekündigt. In der Folge wurde eine Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität entwickelt und das Ziel formuliert,
„Daten zu erheben, miteinander zu verknüpfen und verfügbar zu machen, um so die EU-Ziele von der Nachhaltigkeit bis hin zur Multimobilität zu verwirklichen.“ [1]
Ein wesentlicher Anlass für die Initiative ist die starke Fragmentierung der Datenquellen und des Datenaustauschs, sowohl in den verschiedenen Verkehrsbereichen und bei den unterschiedlichen Verkehrsträgern, als auch zwischen den Mitgliedsstaaten und innerhalb der Mitgliedsstaaten (national, regional, lokal). Für potenzielle Nutzer:innen bedeutet dies ein großes Hindernis. Die Auffindbarkeit und Zugänglichkeit evtl. interessanter Datenbestände wird eingeschränkt. Zudem entsteht Unsicherheit hinsichtlich der Bedingungen zu deren Nachnutzung und Weitergabe. Insbesondere bei Vermischung und Verschneidung von Datensätzen. So kann das Potenzial der Digitalisierung nicht erschlossen werden. Um umfassende, hochwertige Mobilitätsdaten künftig europaweit einfach auffindbar, zugänglich und nachnutzbar in maschinenlesbarer Form bereitzustellen, soll ausgehend von bestehenden Initiativen und Plattformen eine Infrastruktur der Mitgliedsstaaten geschaffen werden: der gemeinsame europäische Mobilitätsdatenraum („Mobility Data Space“, MDS).
Die Umsetzung des gemeinsamen europäischen Mobilitätsdatenraums wird maßgeblich durch das Programm „Digitales Europa“ (DIGITAL) unterstützt. Dieses hat eine sogenannte „vorbereitende Maßnahme“ initiiert, die bereits existierende Datenökosysteme privater, öffentlicher und industrieller Initiativen in Europa kartiert, dabei Lücken und Überschneidungen identifiziert und Empfehlungen für Bausteine und Governance eines gemeinsamen Mobilitätsdatenraums erarbeitet. Mit der Federführung dieser – geplant – 12-monatigen Koordinierungs- und Unterstützungsaktion (Coordination and Support Action, CSA) „PrepDSpace4Mobility“ wurde die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) betraut [2].
An die CSA schließt sich eine Maßnahme an, die dabei unterstützt, große Datenbestände mit Schwerpunkt urbaner Mobilität in maschinenlesbarem Format bereitzustellen. Darüber hinaus hilft das Programm „Connecting Europe Facility“ (CEF) mit einem Koordinierungsmechanismus bei der Einbindung und dem Zusammenschluss nationaler Zugangsstellen.
Zusätzlich versuchen verschiedene Datenökosysteme, Plattformen und Marktplätze, die von Mitgliedsstaaten oder privaten Akteur:innen betrieben werden, den Datenaustausch im Mobilitätssektor zu erleichtern [3]. Hierbei handelt es sich nicht um europäische Initiativen wie die oben genannten. Zu diesen weiteren Vorhaben gehört auch der von der Bundesregierung unterstützte „Mobility Data Space“.
Der Mobility Data Space (MDS)
Der MDS versteht sich als virtueller Marktplatz zum Austausch von Mobilitätsdaten. Träger des MDS ist die 2021 gegründete DRM Datenraum Mobilität GmbH, eine Non-Profit-Gesellschaft, gefördert vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Gesellschafter sind die acatech Stiftung, BMW, die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und NRW, Caruso, die Deutsche Bahn, DHL Group, HERE, HUK Coburg, Mercedes-Benz, VDV eTicket und Volkswagen.
Unternehmensgegenstand des MDS ist der Betrieb eines Datenkatalogs zur Suche nach Datenangeboten und einer Infrastruktur für den dezentralen Austausch der über den Katalog auffindbaren Daten (Business-to-Business, B2B und Business-to-Government, B2G) [4].
Ende Februar 2024 verzeichnete der MDS rund 200 Teilnehmer:innen. Neben den Gesellschaftern (s.o.) sind dies u.a. Mobilitätsdienstleister (z.B. Bolt, FreeNow, ADAC), Behörden und staatsnahe Unternehmen (z.B. DWD, Autobahn GmbH), Kommunen (z.B. Gelsenkirchen, Hamburg), öffentliche Verkehrsunternehmen (z.B. Hamburger Hochbahn), Mobilfunknetzbetreiber (z.B. Vodafone), Unternehmen des Energiesektors (z.B. e.on, TenneT) und Forschungseinrichtungen (z.B. Fraunhofer, KIT).
Die Teilnahme ist für Interessierte (nur) bis Ende 2024 kostenlos.
Teilnehmer:innen können im Datenkatalog des MDS Datensätze anbieten und nach von ihnen benötigten Datensätzen anderer Teilnehmer:innen suchen. Die eigentlichen Daten verbleiben beim jeweiligen Anbietenden. Das Einstellen eines Datenangebots im MDS ist nicht bindend. Anbieter:innen entscheiden in jedem Einzelfall, ob, zu welchem Zweck und zu welchem Preis nachfragende Teilnehmer:innen Zugang zu den konkreten Daten erhalten. Der eigentliche Austausch erfolgt dann ggf. direkt zwischen den nachfragenden und den anbietenden Teilnehmer:innen.
„Daten anbieten und erwerben
Der Mobility Data Space vernetzt diejenigen, die Daten anbieten, mit denjenigen, die sie für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle benötigen – einfach, transparent und bei voller Wertschöpfung für beide Seiten.“ [5]
Es handelt sich beim MDS also nicht um ein Open-Data-Portal und bei den Daten nicht um Open Data.
Mal aus der Nähe betrachtet
Mit dem MDS wird nicht der einzige und schon gar nicht der erste Katalog mit Mobilitätsdaten vorgelegt. Mit rund 6.600 Datensätzen sind auch nicht ansatzweise alle Quellen enthalten, die über andere Kataloge und Portale auffindbar wären. So pflegen viele Länder, Regionen und Kommunen – zum Teil seit langer Zeit – Portale, die solche und verwandte Datensätze verzeichnen, insbesondere tatsächlich offene. Freiburg im Breisgau bietet zum Beispiel Zugang zu Datensätzen zur Zahl der beförderten Personen im ÖPNV an, die bis ins Jahr 1974 zurückreichen. Das sind beinahe fünf Jahrzehnte. Die Daten zum Güterumschlag im Hafen der Stadt Oldenburg sind sogar bis 1960 dokumentiert und frei zugänglich. Über die Open-Data-Plattformen einiger Länder findet man Datenbestände, die von Städten oder kommunalen Verkehrsverbünden und -unternehmen bereitgestellt werden. Das Open-Data-Portal des Bundes „GovData“ umfasst alleine in der Kategorie „Verkehr“ rund 11.000 Datensätze von Bereitstellern der subnationalen Ebene . Die Metropolregion Rhein-Neckar hat dort 11 Einträge zu verzeichnen, die Stadt Frankfurt am Main u.a. Verkehrsmeldungen, Gewässerdaten und das Straßenverzeichnis.
Insgesamt mangelt es also nicht grundsätzlich an zugänglichen Mobilitätsdaten. In der Tat findet sich in den verschiedenen Portalen eine große Anzahl von Datensätzen, die von einer Vielzahl von Anbieter:innen stammen, teils zu sich überschneidenden und teils zu völlig verschiedenen Themen aus den Bereichen Verkehr, Logistik und Mobilität allgemein. Dass hierbei Datensätze in einem Portal verfügbar sind, in einem anderen aber nicht, scheint dabei sehr willkürlich und nicht nachvollziehbar. Man kann sich so nie sicher sein, ob man zu einem Thema oder für ein Projekt alle grundsätzlich verfügbaren Datensätze gefunden hat bzw. ob die recherchierten Quellen überschneidungsfrei sind.
Die eigentliche Motivation der EU, die Fragmentierung zu minimieren, wird so nicht erreicht. Es stellt sich die Frage, wie dies konkret durch weitere Plattformen (seien sie offen oder geschlossen) verbessert werden soll.
Fazit
Zusammengefasst mangelt es momentan vor allem an Übersichtlichkeit, Verständlichkeit, Zugänglichkeit und der bedingungslosen, diskriminierungsfreien, also offenen und damit innovationsfördernden Nachnutzbarkeit von Mobilitätsdaten.
Zum einen ist dies durch die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Plattformen und Datenportale begründet, die häufig ähnliche, aber nicht klar vergleich- bzw. unterscheidbare Angebote und damit eine nicht angemessen abgrenzbare Datenbasis umfassen.
Zum anderen schränken – wie insbesondere im Fall des MDS – individuell von den Datenanbieter:innen festgelegte, kommerzielle Nutzungsbedingungen eine Verschneidung von Datensätzen und die Veröffentlichung der daraus gewonnenen Ergebnisse und Erkenntnisse weitgehend ein bzw. machen diese unmöglich.
Diese Aspekte haben zur Folge, dass potenzielle Nutzende von Datenbeständen keine Klarheit über die Abdeckung der von ihnen ggf. aufgefundenen Datenbasis für die Bearbeitung der jeweiligen Aufgabenstellung und damit keine belastbare Abschätzung der Belastbarkeit und Güte ihrer Lösung für das gestellte Problem erlangen können.
Diese negativen Effekte werden, gerade für die ohnehin stets finanziell knappen Kommunen, zusätzlich und bis zur Untragbarkeit verstärkt, wenn alleine schon der Zugang zu Datenkatalogen bzw. die Teilnahme an „Datenräumen“ – wie künftig im Falle des MDS – kostenpflichtig ist.
Dies verhindert Innovation sowohl seitens Start-Ups, als auch seitens der akademischen Forschung und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Das bedeutet eine weitere Minderung der digitalen Souveränität des Staates auf allen förderalen Ebenen, gerade der Kommunen, sowie der Gesellschaft insgesamt.
Innovationen, die wir brauchen und die Effekte, welche sich die EU durch ihre Initiative erhofft, entstehen nicht durch neue Geschäftsmodelle auf Datenmarktplätzen, z.B. für die Automobilindustrie, sondern durch gesamtgesellschaftliche freie und offene Nutzbarkeit von Daten, z.B. Mobilitätsdaten.
Einzelnachweise:
[1] Mitteilung der Kommission über die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Mobilitätsdatenraums – zuletzt abgerufen 07.04.2024
[2] Website des Projekts „PrepDSpace4Mobility – zuletzt abgerufen 07.04.2024
[3] „Erschließung des Potenzials von Mobilitätsdaten“ veröffentlicht auf der Website der Europäischen Kommission – zuletzt abgerufen 07.04.2024
[4] „Mobility Data Space – Kurzinformation“ veröffentlicht auf der Website des Mobility Data Space – zuletzt abgerufen 07.04.2024
[5] „MDS Angebot – Datenaustausch, Expertise und Support“ veröffentlicht auf der Website des Mobility Data Space – zuletzt abgerufen 07.04.2024
Weitere Quellen und Informationen:
„Europäische Datenstrategie“ veröffentlicht auf der Website der Europäischen Kommission – zuletzt abgerufen 07.04.2024
„Das Programm ‚Digitales Europa'“ veröffentlicht auf der Website der Europäischen Kommission – zuletzt abgerufen 07.04.2024