In unserer Veranstaltungsreihe war am 10. Februar Olaf Scholz, Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg und stellvertretender Parteivorsitzender der SPD zu Gast. Dabei ging es zum Teil sehr kontrovers zur Sache.
Für Scholz bedeutet Digitalisierung zunächst einmal Fortschritt und neue Möglichkeiten. So biete das Internet etwa ganz neue Demokratisierungsmöglichkeiten, die man auch nutzen müsse. Diese neuen Möglichkeiten bedeuteten jedoch auch, dass jemand diese neue Welt neu ordnen müsse, weil Strukturen von gestern die Herausforderungen von morgen möglicherweise nicht mehr lösten. “Dieser Teil einer neu entstandenen Realität ist für den Gesetzgeber oft nur schwer zu greifen”, so Scholz.
Als Beispiel führte er die Videoüberwachung im öffentlichen Raum an. Diese sei früher in der Wahrnehmung der Politiker schon deshalb kein großes Thema gewesen, weil die benötigte Manpower viel zu groß war: “Da saßen zwei Polizisten hinter der Kamera und sechs vor der Kamera.” Mit der aktuellen und zukünftigen Rechnerleistung und modernen Algorithmen sei der Einsatz von Videoüberwachung allerdingskomplett anders zu bewerten.
“Wir müssen aufpassen, dass Datenauswertung nicht zu falschen Schlüssen führt”, so Scholz. Clusterbildung mithilfe moderner Big Data Analysen führe doch zu häufig dazu, dass das Individuum irrelevant werde und damit in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt. Das zeige etwa der US-amerikanische Wahlkampf: Die Mobilisierung bestimmter Wählerschichten aufgrund statistischer Merkmale bedeutet Entdemokratisierung. “Demokratie bedeutet, mit allen zu sprechen und nicht mit gezielt gefilterten Personengruppen.”
Eine Regulierung allerdings könne dabei nur auf europäischer Ebene erfolgen, denn Digitalisierung bedeute auch immer Internationalisierung. Doch statt über die Frage zu diskutieren, wer zuständig ist, streite man eher über inhaltliche Details einer Regulierung, kritisierte Scholz.
Besonders wichtig im Rahmen einer europäischen Regulierung sei die Selbstbestimmung über die eigenen Daten, hier entstünde ein neues Persönlichkeitsrecht.
In diesem Zusammenhang sprach sich Olaf Scholz für das umstrittene “Recht auf Vergessen aus”: Datensouveränität als Persönlichkeitrecht bedeute eben auch, dass man von Unternehmen die Löschung oder Unzugänglichmachung von Daten verlangen könne.
Ganz anders sieht Scholz das, wenn es um Datenspeicherung durch den Staat gehe. Eine Vorratsdatenspeicherung sei sehr zu begrüßen, die Diskussion laufe seiner Ansicht nach in eine vollkommen falsche Richtung. Denn es gehe doch nicht um mehr, als verbindliche Regelungen für etwas, das die Mobilfunkkonzerne doch sowieso schon täten, wenn sie die Verbindungsdaten ihrer Kunden zu Abrechnungszwecken speicherten.
Der Gesetzgeber verlange nichts weiter als eine einheitliche und längere Speicherdauer dieser Daten, um im Zweifelsfall auch später darauf zurückgreifen zu können. Er selbst verwende daher lieber den weniger negativ besetzten Begriff “Mindestspeicherfrist”. Und das sei im Grunde auch vollkommen legitim, nur müsse die Datensicherheit sichergestellt werden, um unbefugte Zugriffe zu verhindern.
Das Argument, dass aber die VDS doch alle Bürger unter Generalverdacht stelle, ließ Scholz nicht gelten. Es sei normale Arbeit der Strafverfolgung, auch Verbindungsdaten anzufragen. Das geschehe ja auch jetzt schon. Nur gebe es dafür keine einheitlichen Regelungen. Und auch bei der Abfrage solcher Verbindungsdaten gelte nach wie vor, dass diese – ähnlich wie bei einer Hausdurchsuchung – erst mit gerichtlicher Genehmigung erfolgen könne.
Ein Gesetz zur VDS könne einen Ausgleich versschiedener Interesse schaffen. Auf der einen Seite regeln, wie lange Daten gespeichert werden müssen, um sie zur Strafverfolgung zur Verfügung stellen zu können. Auf der anderen Seite sei damit jedoch auch zu regeln, wie lange Telekommunikationsanbieter diese Daten überhaupt speichern dürften, das könne derzeit nämlich jedes Privatunternehmen handhaben, wie es wolle.
Auch im Fall einer digitalen Gesundheitsakte begrüßte Scholz die Datenspeicherung insgesamt, forderte jedoch auch hierfür Richtlinien und Regeln. So müsse klar sein, dass aus der Verfügbarkeit von Daten auch eine Verantwortung entstehe, wenn es um die Verhinderung von unbefugter Nutzung und Missbrauch gehe.
Auch hier sprach sich Scholz für eine rasche gesetzliche Regelung aus: Die elektronische Gesundheitskarte dürfe nicht dazu führen, das gesundes Leben belohnt und ungesundes Leben bestraft werde. “Ich habe ein Herz für Dicke und für Skifahrer. Dicke Menschen dürfen genau so wenig für ihren Lebenswandel bestraft werden wie Skifahrer.”
Freiheit bedeute auch das “Recht auf ein ungesundes Leben”, denn Freiheit sei ja auch die Möglichkeit Dinge so zu tun, wie man sie tun wolle.
Insgesamt, so stellte Scholz fest, stünden wir in vielen Bereichen am Anfang einer Entwicklung, der der Gesetzgeber im Moment hinterherhinke. Viele Aspekte des Lebens müssten neu geregelt werden. “Ich lade jeden ein, sich an der notwendigen Debatte darüber, wie wir die Dinge regeln wollen, zu beteiligen”, so Scholz.
Wichtig sei ihm persönblich insgesamt immer eine Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen privater Akteure und den Interessen des Individuums und der Gesellschaft. Dieser Debatte dürfe man aber nicht mit Furcht begegnen.
Gleiches gelte übrigens auch für die Frage, wie man den Geheimdienstskandalen begegne. Neben einer europäischen Lösung sei es vor allem Know-How, dass sich derzeit auch in Deutschland in beachtlichem Maße entwickle. Neue Geschäftsfelder ermöglichten am Ende auch, der unbefugten Überwachung zu begegnen. Hier lohne sich auch ein europäisches Denken, schließlich sei der europäische Markt doch ein Markt von immerhin 500 Millionen Kunden. Der Wettbewerb verschiedener Anbieter tue ein Übriges. So habe die SPD in Hamburg sich erst vor Kurzem für die Lösung von Protonet entschieden, um Daten sicher verwalten zu können.