„Weil die sozialen Instrumente, über die wir heute verfügen, öffentliche Meinungsäußerung und staatsbürgerliches Aktivität verändern, werden die Menschen, die sie entwickeln und die sie verwenden, Mitglieder beim experimentellen Zweig politischer Philosophie.“ — Clay Shirky, „Cognitive Surplus“
Wenn Minister aus Protest gegen irgendetwas oder irgendwen ihr Facebook-Profil dichtmachen, oder sich rechtswissenschaftliche Abgebordnete im Internet mit dem Urheberrecht blamieren, dann ist das zunächst eine Momentaufnahme dieser einzelnen Person. Mit ihr kann man sich spöttisch oder kritisch für ein Weilchen auseinander setzen, um anschließend den nächsten Faux-Pas und die nächste internetbezogene Dummheit einer anderen Person des politischen Lebens zu sezieren. Bei solchem augenblicksbezogenem Politiker-Bashing wird jedoch der eigentlich entscheidende Aspekt, der wirklich zur Sorge mahnt, kaum diskutiert: die Konsequenz des Internets für die Demokratie als Ganzes, und der offenkundige Mangel auf Seiten der Politiker – als entscheidende Akteure in unserem demokratischen System – diese wirklich zu begreifen.
Das Zitat von Clay Shirky fasst die Dimension der Veränderung auf eine, wie ich finde, äußerst prägnante Weise zusammen. Im ersten Teil macht er deutlich, dass das Internet und die Instrumente, die uns vor allem das Web heute bietet, einerseits unsere Formen öffentlicher Meinungsäußerung fundamental verändern. Ein im Grundgesetz festgeschriebenes Grundrecht ist also massiv berührt. Zum anderen nennt Shirky die staatsbürgerliche Aktivität als zweites Objekt der Veränderung – die Umwälzungen gehen über das Äußern von Meinung hinaus, sie berühren vor allem auch unser Tun als Bürger dieser Gesellschaft. Die Konsequenz, die Shirky daraus formuliert, ist so entscheidend wie einleuchtend: wegen dieser Veränderungen entscheiden sich all jene, die diese Technologien verwenden, quasi automatisch – ob sie wollen oder nicht! – dafür, mit politischer Philosophie zu experimentieren. Also: Experimente damit anzustellen, wie Politik und damit Demokratie zu funktionieren hat und gedacht werden kann.
Die politischen Experimente sind also in vollem Gange; jeder, der im Netz veröffentlicht, programmiert, entwickelt, votet, wirkt auf die eine oder andere Weise daran mit. Und dabei ist die Rolle der Programmierer – also jener, die diese neuen Instrumente unsere digitalen Politikexperimente entwerfen – ganz besonders entscheidend. Denn: „Jede Technologie hat eine Schnittstelle, […] einen Ort, an dem Du endest und die Technik beginnt. Und wenn die Aufgabe der Technologie darin besteht, Dir die Welt zu zeigen, dann bedeutet es, dass sie zwischen Dir und der Realität sitzt – wie eine Kameralinse“, schreibt Eli Pariser in The Filter Bubble.
Nicht allein das politische Experiment zählt. Was vor allem zählt, ist die Erkenntnis, dass es keine neutralen Plattformen gibt, keine unpolitischen Websites, keine agendafreien Algorithmen. Sondern dass jeder, der an der Gestaltung der wichtigen, großen Plattformen des Webs heute arbeitet, politische Entscheidungen entweder direkt fällt, oder aber sie vorbereitet – ohne in demokratischen Prozessen überprüft werden zu können. Wenn also Mark Zuckerberg die Entscheidung fällt, dass Privatsphäre eine Angelegenheit von gestern ist, und diese Entscheidung in das Design der Plattform Facebook fließt, welche den digitalen Austausch von 600 Millionen Leuten organisiert, dann macht Mark Zuckerberg globale Politik. Ungewählt, ohne demokratische Legitimation.
Diese beiden Aspekte anzuerkennen – dass ein enormes globales politisches Experiment in vollem Gange ist, und dass viele der Akteure, die es entscheidend gestalten, nicht demokratisch legitimiert sind – und Konsequenzen daraus zu ziehen, ist meine Erwartung an die Politik, die ich mit D64 äußern will. Denn entweder die Politik beginnt daran mitzuwirken, oder es fegt sie mittelfristig in die Bedeutungslosigkeit.