Traditionell hat D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt den im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien einen Katalog an Digital-Thesen vorgelegt. Welche Positionen vertreten CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP und Die Linke zu Fragen der Digitalisierung bei der Europawahl?
In diesem Jahr ist auch die Piratenpartei im Digital-Thesen-Check vertreten, da sie von sich aus auf uns zugekommen ist. Ihre Antworten wurden nachträglich ergänzt.
Parteien positionieren sich zu digitalpolitischen und zivilgesellschaftlich relevanten Themen
Insgesamt wurden acht Digital-Thesen zur Bewertung vorgelegt, da die Parteien diese Anzahl von Wahlprüfsteinen vorab festgelegt hatten. Als digitale Zivilgesellschaft fokussieren wir uns besonders auf Themen wie Open Data/Source/Access, Sicherheit (inklusive des Rechts auf Verschlüsselung und der Meldung von Sicherheitslücken), Desinformation, Nicht-Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit sowie Plattformdesign (bezüglich „Addictive Design“).
Es ist besonders erfreulich, dass alle befragten Parteien zu sämtlichen Thesen Stellung bezogen haben. Auf diese Weise erhalten digitalpolitische Anliegen die erforderliche Aufmerksamkeit. Zum Vergleich: Bei unserem Digital-Thesen-Check zur Europawahl 2019 war die Situation anders. Damals konnten oder wollten die Parteien nicht zu allen Thesen klare Positionen kommunizieren.
Konsens in der Digitalpolitik: Parteien einig bei zentralen Themen
Im Durchschnitt zeigt sich eine breite Zustimmung der Parteien zu den formulierten Digital-Thesen. Es gibt eine Tendenz zur Unterstützung von Initiativen zur Transparenz und Beteiligung (Open Data/Access) sowie zur Förderung von Selbstbestimmung und Resilienz im Netz (wie das Recht auf Verschlüsselung und das Schließen von Sicherheitslücken). Desinformation wird weitgehend als demokratieschädlich angesehen, obwohl es hier und da abweichende Meinungen gibt. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz wird als ein wichtiges Anliegen betrachtet, während die Regulierung des Plattformdesigns befürwortet wird.
Die Piratenpartei geht mit ihren Forderungen am weitesten und unterstützt alle acht Thesen, die Linke liegt dich dahinter mit Zustimmung bei sieben der acht Thesen. Die SPD und Bündnis 90/Die Grünen stimmen etwa der Hälfte der Digital-Thesen zu, während sie bei den übrigen ein „Ja, aber…“ äußern. Die CDU/CSU können keiner Digital-These deutlich zustimmen; sie geben bei sechs von acht eine „Ja, aber…“-Antwort und lehnen bei zwei (Recht auf Verschlüsselung, Verpflichtung zu Open-Source-Software) ab. Die FDP formuliert ihre Ansichten am deutlichsten und lässt sich zu keinem „Ja, aber…“ hinreißen; sie stimmt fünf von acht Digital-Thesen zu. Die größte Einigkeit aller Parteien außer der Union besteht in Bezug auf die Digital-Thesen zum Recht auf Verschlüsselung und Open Access, für die sich alle vier Parteien stark machen.
Die Digital-Thesen im Einzelnen
Eine Übersicht der Digital-Thesen sowie die Einschätzung und Erklärung der Parteien findet ihr hier: eudigital24.d-64.org
1. These: Alle nicht-personenbezogenen und nicht als Verschlusssache eingestuften Daten von Institutionen der Europäischen Union und ihrer öffentlich geförderten Projekte sind grundsätzlich so zu veröffentlichen, dass sie der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung stehen (Open Data by Default)
Alle Parteien begrüßen die Transparenz und möchten sich teils für den Erhalt sowie Ausbau einsetzen. Ebenfalls wird Europa als Vorreiter im Zugang zu Daten gesehen. Wenn es eine Kategorie, des „Ja, finden wir theoretisch gut, aber…“ gegeben hätte, dann würde die…
- …CDU/CSU „Dokumente grundsätzlich niedrigschwellig zur Verfügung stellen, wenn kein Hinderungsgrund dem entgegensteht.“
- …SPD weiterhin „den verantwortungsvollen Zugang zu Daten begünstigen und sich an der Weiterentwicklung des Datengesetzes beteiligen.“
- …die LINKE die Forderung teilen „unter der Einschränkung, dass auch Geschäftsgeheimnisse öffentlicher Institutionen gewahrt blieben sollten, solange sie sich in einer Konkurrenzsituation zu privaten Anbietern befinden, die keiner Open-Data-Anforderung unterliegen.“
Nur Bündnis 90/Die Grünen und die FDP positionieren sich klar dafür: Die Grünen äußern deutlich, dass sie sich „für einen Rechtsanspruch auf offene Daten und eine verbesserte Dateninfrastruktur“ einsetzen. Die FDP fordert darüber hinaus „den Aufbau zielführender Dateninfrastrukturen und Instrumente wie Datentreuhänder und „Datendrehscheiben“ gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft“. Hier reihen sich auch die Piraten ein, „denn [mit Steuergeldern teil- oder ganz finanzierten Daten] sind mit den Geldern der Allgemeinheit bezahlt und müssen gemäß der Losung „Public money, public code“ somit auch der Allgemeinheit zur Verfügung stehen“.
Forderungen zur Open-Data-Pflicht und zur Einführung eines zentralen Open-Data-Portals hat D64 bereits im März 2021 thematisiert .
2. These: Forschungsergebnisse, die durch Mittel der Europäischen Union finanziert werden, sind grundsätzlich so zu publizieren, dass sie der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung stehen (Open Access).
Zu dieser These lässt sich bei den Parteien eine größere Übereinstimmung feststellen. Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP, die LINKE und die Piraten äußern sich positiv zur These. CDU/CSU knüpft die Bereitstellung der Daten an die Bendingung, dass diese nur unter Forscher:innen und Forschungseinrichtungen unter bestimmter Datenschutzbestimmungen erfolgt.
3. These: Jede:r hat ein Recht auf Verschlüsselung von Daten und Netzen. Digitale Verschlüsselungstechniken sind zum Schutz der Grundrechte unverzichtbar, das Recht auf ihre Anwendung ist verfassungsrechtlich geboten. Regelungen, die ein Aushebeln der Vertraulichkeit der Kommunikation bedeuten, lehnen wir ab.
CDU/CSU: In begründeten Einzelfällen ist es notwendig und geboten, zum Schutz der Allgemeinheit und zur Strafverfolgung auf solche Daten zuzugreifen.
SPD: Die Abschwächung der Verschlüsselung stellt neben den gravierenden Auswirkungen auf die Privatsphäre auch ein bedeutendes Sicherheitsrisiko dar.
Bündnis 90/Die Grünen: Das Recht auf digitale Privatsphäre, auf eine sichere Kommunikation und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wollen wir stärken und ausbauen.
FDP: Jede Einschränkung des Einsatzes von Kryptographie lehnen wir ab.
LINKE: Die Möglichkeit von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist essenzieller Bestandteil des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.
Piratenpartei: Unser Europaabgeordneter hat (…) in unermüdlicher Arbeit eine parteiübergreifende Einigung darauf erreicht, Chatkontrolle und Zerstörung sicherer Verschlüsselung zu ersetzen durch einen neuen Ansatz zum Kinderschutz.
D64 setzt sich insbesondere für die Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit im digitalen Raum ein. In dem Rahmen äußern wir uns seit Jahren kritisch zu Themen wie Vorratsdatenspeicherung (bspw. 2020 und 2024) oder die Chatkontrolle.
4. These: Aufgabe aller staatlicher Institutionen – inklusive Sicherheitsbehörden – ist es, IT-Sicherheitslücken dem Hersteller zu melden und bei der Behebung zu unterstützen, nicht, sie auszunutzen.
Die Antworten der Parteien verhalten sich ausgewogen im Zusammenhang mit dieser Aussage.
Alle Parteien befürworten die Widerstandsfähigkeit von staatlichen Institutionen. Aus Sicht von D64 sind im Hinblick auf die grundsätzlich wachsende Zahl von Cyberattaken nicht geschlossene Lücken unverantwortlich.
Die CDU/CSU äußert sich offen gegenüber Aufklärung und Zusammenarbeit mit Herstellern. Dagegen positionieren sich Bündnis 90/Die Grünen, SPD und LINKE für ein Schwachstellenmanagemant ohne Hintertüren und gesetzliche Rahmenbedingungen im Umgang mit IT-Sicherheitslücken. Noch deutlicher spricht sich die LINKE mit einem Verbot aus: „Den An- und Verkauf sowie das Ausnutzen von Sicherheitslücken in IT-Systemen durch Geheimdienste, Polizeibehörden etc. wollen wir verbieten.“ Auch die FDP geht weiter und lehnt die Nutzung von Sicherheitslücken „insbesondere zur Durchführung von ‚digitalen Vergeltungsschlägen‘ (Hackbacks)“ ab. Die Piratenpartei macht es auch noch konkret und spricht sich gegen den Einsatz von Spyware gegen Journalist:innen aus.
5. These: Für alle Institutionen und Einrichtungen der EU werden verbindlich Open-Source-Software (OSS), offene Schnittstellen und Datenformate vorgeschrieben. Dafür soll die Förderung solcher Software, bspw. durch Finanzierung, ausgebaut werden.
In der Parteienlandschaft gibt es natürlich unterschiedliche Ansichten, inwieweit Open Source den aktuell mehrheitlich genutzten proprietären Lösungen Vorrang gegeben werden sollte. Die CDU/CSU äußert sich deutlich für beide Optionen und mit dem Verweis, „dass Lösungen in eine gemeinsame Landschaft integrierbar sind“. Auch die FDP wünscht sich mehr Open-Source-Software, spricht sich aber gegen eine Verpflichtung aus: „Eine pauschale Vorschrift, dass verbindlich alle Software Open-Source-Software sein muss, ist allerdings praxisfern und würde erfordern, in vielen Bereichen funktionierende und etablierte Lösungen durch teure und aufwändige eigene Neuentwicklungen ersetzen zu müssen.“ Dagegen fordert die LINKE deutlich „Open-Source, offene Schnittstellen und -Datenformate als verbindlich für alle Entwicklungsaufträge der öff. Hand, von kommunal bis EU“. Auch die Piratenpartei unterstützt eine verbindliche Nutzung von OSS. Die SPD und Bündnis 90/Die Grünen halten sich in den Äußerungen neutraler, indem sie die Open-Source-Nutzung vorantreiben oder einsetzen möchten. Jedoch spricht keiner der beiden Parteien über den Umgang mit proprietären Lösungen.
D64: Fünf Gründe für Open-Source-Software (Juni 2019), Wir müssen unabhängiger werden – Open Source kann dabei helfen (November 2021)
6. Desinformation – insbesondere unterstützt durch künstliche Intelligenz – stellt eine große Gefahr für die Demokratie dar. Die EU soll mehr Initiatiative gegen Desinformation ergreifen, u.a. durch Gelder zur Förderung von Digital Literacy.
Dieser Aspekt beschäftigt D64 auch im Rahmen unseres Jahresthemas „Digitalpolitik faschismussicher: Wie können wir eine resiliente Demokratie im Digitalen Raum schaffen?“ Bei den Parteien gibt es zu dem Punkt (leider) keine Einigkeit.
Während CDU/CSU sich für Aufklärungsarbeit und Weiterbildungsangebote und die SPD sich für die „wirksame“ Durchsetzung von Plattformregulierung einsetzen, sprechen sich Bündnis 90/Die Grünen aktiv für die Kennzeichnung von KI-Inhalten aus, die LINKE fordert mehr Maßnahmen gegen Desinformation, die Piraten möchten in diesem Zuge die Empfehlungsalgorithmen der Plattformen aufbrechen und die FDP möchte die strategischen Kommunikation nach außen weiter ausbauen.
7. These: Für Arbeitnehmer:innen soll ein Recht auf Nichterreichbarkeit durch den Arbeitgeber außerhalb der Arbeitszeit gelten.
SPD und Linke nehmen hier ihre Positionen als Arbeitnehmer:innen-freundliche Parteien ein und sprechen sich für ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit aus. Aus Sicht der Piraten würde alles andere „ad absurdum“ führen. Bündnis 90/Die Grünen betont vor allem die Bedeutung der Flexibilität von Arbeitszeitmodellen und setzen sich für einen „zeitgemäßen Arbeitsschutz“ ein. Auch CDU/CSU sprechen sich für moderne Arbeitszeitregelungen aus: „Ziel von CDU und CSU ist es, den rechtlichen Rahmen so zu entwickeln, dass mögliche Spielräume bei der Arbeitszeitgestaltung zum Vorteil aller Beteiligten genutzt werden können, ohne dass die Schutzfunktion des Arbeitszeitrechts beeinträchtigt wird.“ Doch weder CDU/CSU noch Die Grünen sprechen eine explizite Unterstützung für das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit aus. Die FDP sieht keinen Handlungsbedarf auf europäischer Ebene.
D64 Auseinandersetzung mit Home Office und Forderungen an Sozialpartner von September 2021.
8. These: Addictive Design auf Online-Plattformen muss eingegrenzt werden. Dafür soll ein übergreifendes Regelwerk für alle Mechanismen und Designelemente geschaffen werden, die die Entscheidungsfindung von insb. minderjährigen Nutzer:innen im digitalen Raum beeinflussen.
Einigkeit besteht hier bei den Parteien, dass für alle – vor allem auch Kinder – gefahrloser Zugang zu den Angeboten von Plattformen bestehen sollte. Für die Linke reicht Regulierung nicht aus. Sie setzt sich gegen „profitorientierte Geschäftsmodelle des datengetriebenen Plattformkapitalismus“ ein. Auch die SPD äußert hier Systemkritik und sieht, dass die Digitalwirtschaft sich zum Nachteil für die Nutzer:innen entwickelt, denn sie lenkt „die Entscheidungsmacht vom Verbraucher zu großen Digitalkonzernen um“. Für die SPD ist Regulierung jedoch der richtige Schritt. Auch die Piraten sehen in dem Verbot von „Dark Patterns“ einen notwendigen Schritt. Weniger konkret sind CDU/CSU sowie Bündnis 90/Die Grünen: Sie sprechen sich generell für Regulierung aus. Die Grünen betonen, dass bestehende Regelungen durchgesetzt werden sollten. Die FDP sieht dies anders und schätzt die Regulierung in diesem Bereich als nicht praktikabel ein. „Stattdessen ist es in der Verantwortung der öffentlichen Hand, Nutzer zu befähigen, selbst solche manipulativen Muster zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.
Am 28. Mai 2024 auf der re:publica
Nicht nur auf unserer Webseite präsentieren wir die Antworten zu den Digital-Thesen. Auch im Rahmen der re:publica wollen wir in den Dialog treten. Besucht uns zwischen 11 bis ca. 17 Uhr Off Stage in der STATION in Berlin!